NMOSD

Azathioprin

Indikation

Azathioprin ist in Deutschland zur Behandlung der schubförmigen MS sowie einiger anderer Autoimmunerkrankungen und der Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation zugelassen. Für die Behandlung der NMOSD und der MOGAD liegt keine Zulassung vor. Zu Azathioprin gibt es eine ältere, kleine prospektive Fallserie sowie eine offene randomisierte Vergleichsstudie gegenüber Rituximab und zahlreiche retrospektive Studien, die alle eine Wirksamkeit bei NMOSD und bei MOGAD gezeigt haben (Evidenzgrad IV). Azathioprin ist ein Purinanalogon, das als Antimetabolit wirkt und die Synthese der Purinnukleotide im Rahmen der RNA-/DNA-Synthese hemmt, wovon insbesondere sich schnell teilende Immunzellen betroffen sind.

Kontraindikationen

Eine absolute Kontraindikation besteht bei …

  • Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
  • schwerer Leberfunktionsstörung oder Knochenmarksuppression.

Eine relative Kontraindikation besteht bei …

  • aktiven schwerwiegenden Infektionen oder aktiver Tuberkulose. Bei chronischen Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B oder C sollte Azathioprin nicht angewandt werden, da ein negativer Effekt auf die Immunkompetenz im Rahmen dieser Erkrankungen nicht auszuschließen ist.
  • Vorliegen einer Tumorerkrankung. Die Therapie mit Azathioprin sollte nur nach Rücksprache mit einem Onkologen erfolgen.
  • Pankreatitis.
  • Schwangerschaft oder während der Stillzeit.
  • Kindern unter 18 Jahren. Es liegen keine Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei pädiatrischer NMOSD vor.

Dosierung

Abhängig von möglichen Vorerkrankungen und dem Alter des Patienten sowie unter Berücksichtigung der Risiken und Nebenwirkungen sollte eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin 2 – 3 mg/kg/KG/Tag per os erfolgen. Die Therapie sollte mit 25 – 50 mg täglich in der ersten Woche begonnen und dann unter regelmäßigen Laborkontrollen aufdosiert werden. Die tägliche Dosis kann als Einmaleinnahme erfolgen.

Alternativ existieren – sofern eine engmaschige Betreuung sichergestellt ist – gute Erfahrungen (Evidenzklasse IV) mit raschen Aufdosierungen: nach einer Probedosis (von z.B. 50 mg täglich für drei Tage) Beginn der Zieldosis von 2 – 3 mg/kg/KG täglich (d.h. meist 150 mg täglich) und ggf. Nachjustierung. Bei gleichzeitiger Anwendung von Allopurinol oder anderen Urikostatika muss die Dosis von Azathioprin auf ein Viertel reduziert werden. Es wird unter der Therapie eine absolute Lymphozytenzahl von 600 – 1.000/μl angestrebt. Entsprechend sollte die Dosis angepasst werden. Die absoluten Leukozytenzahlen sollten zwischen 3.000 und 5.000/μl (bei gleichzeitiger Steroidtherapie: 6.000 – 8.000/μl) liegen. Bis zum vollen Wirkungseintritt sind vier bis sechs Monate, in Einzelfällen auch längere Zeiträume zu veranschlagen. Daher sollte die Azathioprin-Therapie in den ersten Monaten bis Wirkungseintritt in Kombination mit einer oralen Steroidtherapie (erster Monat üblicherweise 20 – 30 mg Prednisolon/Tag, ab zwei bis vier Monaten 15 – 20 mg/Tag) erfolgen. Grundsätzlich ist eine Monotherapie mit Azathioprin anzustreben und die orale Steroidtherapie sollte im weiteren Verlauf ausgeschlichen und abgesetzt werden. Unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität und von Komorbiditäten kann Azathioprin in Einzelfällen gemeinsam mit Eculizumab, einer anti-IL-6 Rezeptor gerichteten Therapie (Satralizumab/Tocilizumab) oder auch mit Rituximab kombiniert werden.

Bei ca. 10% der Bevölkerung besteht durch einen Polymorphismus der Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) ein verminderter Abbau von Azathioprin. Dadurch besteht ein erhöhtes Risiko einer Myelotoxizität. Eine generelle Testung auf die Aktivität der TMPT wird nicht empfohlen, dies sollte jedoch bei rascher Verschlechterung des Blutbildes erfolgen bzw. bei höheren Eingangsdosierungen oder Unverträglichkeit.

Pharmakokinetik

  • Nach oraler Einnahme wird Azathioprin gut resorbiert. Maximale Plasmakonzentrationen werden ein bis zwei Stunden nach Einnahme erreicht. Die Plasmahalbwertszeit beträgt drei bis fünf Stunden.
  • Azathioprin wird größtenteils zu 6-Thioinosinsäure und Methyl-Mercaptopurin-Ribonukleotid metabolisiert.
  • 50% der Dosis wird innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einnahme über den Urin überwiegend renal eliminiert, ggf. muss bei starker Nierenfunktionseinschränkung die Dosis adaptiert werden.
  • Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen kann der Metabolismus ebenfalls verändert sein.
  • Azathioprin kann in geringer Dosis die Plazentaschranke passieren und geht in die Muttermilch über.

Pharmakodynamik

  • Azathioprin ist ein Imidazolderivat von 6-Mercaptopurin (6-MP). Es wird in vivo rasch zu 6-MP und 1-Methyl-4-Nitro-5-Thioimidazol metabolisiert.
  • Das freigesetzte 6-MP wirkt als Purin-Antimetabolit.

Diagnostik || vor Therapiebeginn

Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen

Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sollte vor Therapiebeginn nach dem Vorliegen möglicher Kontraindikationen, wie z.B. schweren Infektionen oder vorbestehendem Hautkrebs, gefragt und diese dokumentiert werden (obligat). Die Nutzen-Risiko-Abwägung sollte jeweils dokumentiert werden.

Labor-Basisprogramm

  • Routinelaborparameter: Vor Beginn der Therapie müssen Blutbild plus Differenzialblutbild, Leberwerte (GOT, GPT, GGT, Bilirubin, AP) und Nierenwerte (Kreatinin) bestimmt werden (obligat).
  • Entzündungs- und Infektionsparameter: Bei allen Patienten sollten eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) und chronische virale Infektionen, wie Hepatitis B und C bzw. HIV, ausgeschlossen werden (fakultativ). Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten erforderlich. Bei V.a. Tbc in der Vorgeschichte oder Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben, sollte auf die Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Release-Test, z. B. Quantiferon®) (obligat). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat).
  • Impfstatus: Vor Beginn einer Therapie mit Azathioprin soll der Impfstatus überprüft werden (obligat) und ausstehende und empfohlenen Impfungen (gemäß der STIKO) sollten zeitnah unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität erfolgen.
  • Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss eine Schwangerschaft, ggf. mittels Schwangerschaftstest, ausgeschlossen werden (obligat).

Radiologische Diagnostik

Ein Ausgangs-MRT-Scan des Rückenmarks und des Gehirns, möglichst mit Gabe eines nichtlinearen Kontrastmittels zur Untersuchung auf Schrankenstörung, muss vor Behandlungsbeginn mit Azathioprin durchgeführt werden (nicht älter als drei Monate), um für den weiteren Therapieverlauf über einen Ausgangsbefund zu verfügen (obligat).

Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken

Eine standardisierte Aufklärung über den Einsatz einer off-label Therapie sowie die Risiken und Nutzen der Azathioprin-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten sind vor Behandlungsbeginn obligat. Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung zur Therapie sollte speziell auf folgende Risiken eingehen:

  • Myelosuppression und erhöhte Gefahr für Infektionen. Auch das seltene, aber mögliche Auftreten von Fällen einer PML muss erwähnt werden.
  • Hepatotoxizität / Pankreatitis
  • mögliche Entwicklung von Non-Hodgkin-Lymphomen, Hauttumoren oder anderen Tumorerkrankungen bei Langzeittherapie

Vortherapien || Abstand und Maßnahmen

Grundsätzlich sollte eine längere Therapiepause bei NMOSD aufgrund des Risikos schwerer Erkrankungsschübe vermieden werden. Wenn von MMF oder einer anderen immunsuppressiven Dauertherapie (z.B. Mitoxantron, Methotrexat, Ciclosporin A, Cyclophosphamid) auf Azathioprin umgestellt wird, sollten nach Nutzen-Risiko-Abwägung möglichst die Nebenwirkungen der Vortherapie (z.B. Lympho-/Leukopenien, Leberwerterhöhungen) abgeklungen sein (fakultativ). Dies gilt auch für Patienten, die mit einem MS Medikament, einem B-Zell gerichteten Antikörper (Rituximab, Ocrelizumab, Ofatumumab, Inebilizumab) oder mit Satralizumab/Tocilizumab oder mit Eculizumab vorbehandelt wurden. Bei hoher Krankheitsaktivität oder bestimmten Komorbiditäten kann auch eine Kombinationstherapie oder eine überlappende Therapie notwendig sein, zudem ist bei Therapieumstellung eine überbrückende orale Steroidtherapie zu erwägen.

Monitoring & Maßnahmen || unter Therapie

Klinisch-neurologische Kontrolle

Nach dem ersten Behandlungsmonat und dann vierteljährlich müssen klinisch-neurologische Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden (obligat). Hierbei sollte gezielt nach Oberbauchbeschwerden und Übelkeit sowie vermehrten Infektionen gefragt und diese dokumentiert werden.

Labor-Basisprogramm

Ein Blutbild und Differenzialblutbild sowie Leberwertkontrollen (GOT, GPT, Bilirubin, AP) müssen zu Therapiebeginn regelmäßig, zunächst mindestens einmal wöchentlich, nach acht Wochen Therapiedauer monatlich bis maximal vierteljährlich erfolgen (obligat). Anhand der absoluten Lymphozytenzahlen wird die Dosis des Medikaments angepasst. Ein Abbruch der Therapie ist empfohlen bei einem bestätigten Anstieg der GOT und GPT über das Fünffache der oberen Normgrenze (upper limit of normal, ULN) oder bei einem Anstieg der GOT und GPT über das Dreifache des ULN bei gleichzeitiger Erhöhung des Bilirubins über das Zweifache des ULN. Auf mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten ist zu achten (cave: Abfall der Lymphozyten nach Beendigung einer gleichzeitigen oralen Steroidtherapie; erhöhte Leberwerte bei gleichzeitiger Steroidtherapie).

Radiologische Kontrolle

Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs sowie zur möglichen Einschätzung differenzialdiagnostisch relevanter Komplikationen der Therapie sollte einmal jährlich eine MRT des Rückenmarks und des Gehirns durchgeführt werden (fakultativ). Auf die Kontrastmittelgabe sollte verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für Krankheitsaktivität gibt, keine klinischen Hinweise für eine PML oder andere infektiöse oder nicht-infektiöse ZNS-Erkrankung vorliegen und eine standardisierte Ausgangs-MRT vorliegt.

Während der Therapie

Aufgrund der Wirklatenz von Azathioprin können zu Beginn noch Schübe auftreten. Daher sollte die Azathioprin-Therapie in den ersten Monaten bis Wirkungseintritt in Kombination mit einer oralen Steroidtherapie (erster Monat üblicherweise 20 – 30 mg Prednisolon/Tag, zweiter bis vierter Monat 15 – 20 mg/Tag) erfolgen. Schübe, die unter Azathioprin-Therapie auftreten, können nach Standardvorgaben mit einer Methylprednisolon-Pulstherapie behandelt werden. Ebenfalls möglich ist die Therapie des Schubs mittels Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA).

Besondere Hinweise

Kinder und jugendliche Patienten

Die Erfahrung in der Anwendung von Azathioprin bei Kindern und Jugendlichen beschränkt sich auf wenige Einzelfallberichte; eine allgemein gültige Nutzen-Risiko-Abwägung ist deshalb nicht möglich. Bei den Dosierungen und Empfehlungen zur Überwachung der Therapie gelten dieselben Maßnahmen wie bei Erwachsenen.

Schwangerschaft und Stillzeit

  • Unter Therapie mit Azathioprin sollte eine effektive Kontrazeption für Frauen und Männer erfolgen und vor Beginn der Therapie eine Schwangerschaft ausgeschlossen sein (obligat). Eine unerwartete Schwangerschaft unter Azathioprin ist keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch. In mehr als 2.000 Schwangerschaften ließ sich bislang kein teratogenes Risiko erkennen (siehe www.embryotox.de).
  • Bei Fortführung der Therapie mit Azathioprin in der Schwangerschaft sollte eine spezialisierte Beratung erfolgen und die Therapie in einem spezialisiertem Zentrum überwacht werden. Da Azathioprin und seine Metaboliten in erheblichem Maß die Plazenta und Fruchtblase passieren und so von der Mutter in den Fetus gelangen können, ist während der Schwangerschaft eine besonders sorgfältige gynäkologische Überwachung anzuraten.
  • Azathioprin geht in die Muttermilch über, wenngleich neueste Daten einen nicht nennenswerten Umfang ergeben haben. Azathioprin ist kontraindiziert während der Stillzeit. Eine Anwendung während der Stillperiode sollte streng abgewogen werden.

In der Schwangerschaft, bei konkretem Kinderwunsch bzw. noch offener Familienplanung sollte die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Impfungen

Umfassende Untersuchungen zu Impfungen und Azathioprin liegen nicht vor. Grundsätzlich können Impfungen mit sogenannten Totimpfstoffen, mRNA Impfstoffen und Vektorimpfstoffen während der Therapie mit Azathioprin erfolgen. Die Wirksamkeit von Impfungen kann während der Therapie mit Azathioprin eingeschränkt sein. Ggf. ist der Impferfolg mittels Titerkontrolle zu überprüfen (fakultativ). Die Anwendung von attenuierten Lebendimpfstoffen ist unter der Therapie mit Azathioprin und bis zu drei Monate nach Beendigung der Therapie kontraindiziert (obligat).

Dauer der Therapie

Da es sich bei der NMOSD um eine chronisch verlaufende Erkrankung handelt, ist wahrscheinlich auch eine lebenslange Therapie notwendig. Belastbare Erfahrungen zur Entwicklung der Erkrankung nach Absetzen einer Azathioprin-Therapie liegen für keinen Zeitpunkt vor; daher ist bei Beendigung der Therapie ohne Initiierung einer alternativen Therapie mit einem Risiko erneuter Schübe zu rechnen.

Bezüglich der Therapiedauer bei der MOGAD können noch keine klaren Empfehlungen gegeben werden, da Daten hierzu nicht vorliegen. Das Absetzen einer Azathioprin-Therapie sollte daher immer individuell mit einem in der Behandlung der MOGAD spezialisierten Zentrum / Arzt besprochen werden.

Unter Dauertherapie mit Azathioprin steigt das Malignomrisiko nach mehr als zehn Jahren Therapie um den Faktor 4,4.

Autoren

  • Prof. Dr. Orhan Aktas

    Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

  • Prof. Dr. Ingo Kleiter

    Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gGmbH, Berg

  • Prof. Dr. Tania Kümpfel

    Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU-Klinikum, München

  • Prof. Dr. Corinna Trebst

    Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover

Weitere Informationen unter „Credits“.

Patientenaufklärung

Das KKNMS stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Azathioprin für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.

WORKFLOW-TABELLE

VOR der Therapie
WÄHREND der Therapie
Erläuterung

Autoren

Prof. Dr. Orhan Aktas

Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Ingo Kleiter

Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gGmbH, Berg

Prof. Dr. Tania Kümpfel

Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU-Klinikum, München

Prof. Dr. Corinna Trebst

Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover