Indikation
Mycophenolat Mofetil (MMF) ist in Deutschland zur Prophylaxe einer Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation zugelassen. Für die Behandlung der NMOSD und der MOGAD liegt keine Zulassung vor. Zu MMF gibt es mehrere retrospektive Studien und einzelne prospektive Kohortenstudien, die eine Wirksamkeit bei NMOSD-Patienten und bei Patienten mit MOGAD gezeigt haben (Evidenzgrad IV).
Es wird empfohlen, die Therapieentscheidung in Absprache mit einem Zentrum mit ausgewiesener Erfahrung in der NMOSD-Behandlung zu treffen und die Patienten im NEMOS-Register zu erfassen.
Kontraindikationen
Eine absolute Kontraindikation besteht bei …
- … Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
- … Schwangerschaft oder während der Stillzeit.
Eine relative Kontraindikation besteht bei …
- … aktiven schwerwiegenden Infektionen oder aktiver Tuberkulose. Bei chronischen Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis B oder C sollte MMF nicht angewandt werden, da ein negativer Effekt auf die Immunkompetenz im Rahmen dieser Erkrankungen nicht auszuschließen ist.
- … Vorliegen einer Tumorerkrankung. Die Therapie mit MMF sollte nur nach Rücksprache mit einem Onkologen erfolgen.
- … Kindern unter 18 Jahren. Es liegen keine Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei pädiatrischer NMOSD vor.
Dosierung
Abhängig von möglichen Vorerkrankungen und dem Alter des Patienten sowie unter Berücksichtigung der Risiken und Nebenwirkungen sollte eine immunsuppressive Therapie mit MMF 2 g/Tag per os erfolgen. Die Therapie wird mit 2x 500 mg/Tag begonnen und dann auf insgesamt 2x 1 g/Tag per os unter regelmäßigen Laborkontrollen innerhalb weniger Wochen aufdosiert. MMF sollte vor oder mit dem Essen und mit zwei Stunden Abstand zu Eisenpräparaten und Antazida / Protonenpumpenhemmern eingenommen werden. Mit einem vollen Wirkungseintritt ist frühestens nach 8 – 12 Wochen zu rechnen. Daher sollte auch die MMF-Therapie in den ersten Monaten bis Wirkungseintritt in Kombination mit einer oralen Steroidtherapie (erster Monat üblicherweise 20 – 30 mg Prednisolon / Tag, ab zwei bis vier Monaten 15 – 20 mg/Tag) erfolgen. Die bekannten Steroidnebenwirkungen müssen berücksichtigt und die Komedikation beachtet werden (z.B. Osteoporoseprophylaxe). Grundsätzlich ist eine Monotherapie mit MMF anzustreben, und die orale Steroidtherapie sollte im weiteren Verlauf ausgeschlichen und abgesetzt werden. Unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität und von Komorbiditäten kann MMF in Einzelfällen gemeinsam mit mit niedrig-dosierten oralen Steroiden, Eculizumab, einer anti-IL-6 gerichteten Therapie (Satralizumab / Tocilizumab) oder auch mit Rituximab kombiniert werden.
Pharmakokinetik & -dynamik
- MMF wird im Körper in Mycophenolsäure (MPA) umgewandelt. MPA ist ein selektiver, nicht-kompetitiver und reversibler Hemmer der Inosinmonophosphat- Dehydrogenase, der die Guanosin-Nucleotidsynthese und somit die Proliferation von T- und B-Lymphozyten hemmt. MPA wirkt dabei stärker auf Lymphozyten als auf andere Zellen.
- Nach oraler Einnahme wird MMF schnell und gut resorbiert und in einer vollständigen präsystemischen Metabolisierung in MPA, den aktiven Metaboliten umgewandelt. Hohe Plasmakonzentrationen werden bereits eine Stunde nach Einnahme erreicht. Aufgrund des enterohepatischen Kreislaufs beobachtet man im Allgemeinen 6 – 12 Stunden nach der Einnahme einen zweiten sekundären Anstieg der Plasmakonzentration von MPA. MMF zeigt eine Plasma-Halbwertszeit von ca. 17,5 h.
- Über 90% der Dosis wird innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einnahme renal eliminiert, ggf. muss bei starker Nierenfunktionseinschränkung die Dosis adaptiert werden.
- Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen kann der Metabolismus ebenfalls verändert sein.
- MMF kann die Plazentaschranke passieren.
- Auf mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, insbesondere auf Medikamente, die den enterohepatischen Kreislauf beeinflussen können (z.B. ACE-Hemmer oder verschiedene Antibiotika, siehe Fachinformation), ist zu achten. Bei gleichzeitiger Gabe von Aciclovir kann es zu höheren Plasmakonzentrationen von Aciclovir kommen, ebenso kann es zu einem Konzentrationsanstieg von MPA kommen. Bei gleichzeitiger Gabe von Antazida und Protonenpumpenhemmern kann der MPS-Spiegel vermindert sein (siehe oben).
- MMF darf nicht mit Azathioprin und Ciclosporin A kombiniert werden.
Diagnostik || vor Therapiebeginn
Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen
Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung muss vor Therapiebeginn das Vorliegen möglicher Kontraindikationen, wie z.B. einer schweren Infektion oder von vorbestehenden Tumorerkrankungen, auch Hautkrebs, sowie eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden (obligat). Die Nutzen-Risiko-Abwägung sollte jeweils dokumentiert werden.
Labor-Basisprogramm
- Routinelaborparameter: Vor Beginn der Therapie müssen Blutbild und Differenzialblutbild, Leberwerte (GOT, GPT, GGT) und Nierenwerte (Kreatinin) bestimmt werden (obligat). Da es unter Therapie mit MMF zu einer Hypogammaglobulinämie kommen kann, sollten initial vor Beginn der Therapie einmalig die Immunglobulinwerte im Serum (IgG) bestimmt werden (fakultativ).
- Entzündungs- und Infektionsparameter: Bei allen Patienten müssen eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) sowie chronische aktive bakterielle und virale Infektionen (HBV, HCV, HIV) ausgeschlossen werden (obligat). Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Patienten erforderlich. Bei Verdacht auf Tbc in der Vorgeschichte oder bei Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben, sollte die Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Gamma-Release-Test, z.B. Quantiferon®) (fakultativ). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat).
Zudem muss überprüft werden, ob Immunität gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) vorhanden ist (Nachweis von VZV-IgG im Serum, anamnestisch durchgemachte Windpocken-Erkrankung) (obligat). Bei fehlender Immunität sollte vor Beginn der Therapie eine Impfung durchgeführt werden (siehe unten Impfungen). - Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss eine Schwangerschaft mittels Schwangerschaftstest ausgeschlossen werden (obligat).
Radiologische Diagnostik
Ein Ausgangs-MRT-Scan des Rückenmarks und des Gehirns, möglichst mit Gabe eines nichtlinearen Kontrastmittels zur Untersuchung auf Schrankenstörung, muss vor Behandlungsbeginn mit MMF durchgeführt werden (nicht älter als drei Monate), um für den weiteren Therapieverlauf über einen Ausgangsbefund zu verfügen (obligat).
Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken
Eine standardisierte Aufklärung über den Einsatz einer off-label Therapie sowie die Risiken und Nutzen der MMF-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten sind vor Behandlungsbeginn obligat. Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung zur Therapie sollte speziell auf folgende Risiken eingehen:
- Blutbildveränderungen und erhöhte Gefahr für Infektionen: Grundsätzlich besteht ein erhöhtes Risiko für Infektionen, einschließlich opportunistischer Infektionen, unter Therapie mit MMF. Auch das seltene, aber mögliche Auftreten einer PML muss erwähnt werden.
- Bei Langzeittherapie muss auf die mögliche Entwicklung von Hauttumoren oder anderen Tumorerkrankungen hingewiesen werden. Wie stark unter langfristiger Therapie mit MMF das Risiko für eine Tumorerkrankung steigt, ist unklar, aber es muss mit einem erhöhten Risiko für Hauttumore und Lymphome gerechnet werden.
- Teratogenität.
Vortherapien || Abstand und Maßnahmen
Grundsätzlich sollte eine längere Therapiepause bei NMOSD aufgrund des Risikos schwerer Erkrankungsschübe vermieden werden. Wenn von Azathioprin oder einer anderen immunsuppressiven Dauertherapie (z.B. Mitoxantron, Methotrexat, Ciclosporin A, Cyclophosphamid) auf MMF umgestellt wird, sollten nach Nutzen-Risiko-Abwägung möglichst die Nebenwirkungen der Vortherapie (z.B. Lympho- / Leukopenien, Leberwerterhöhungen) abgeklungen sein (fakultativ). Dies gilt auch für Patienten, die mit einem MS Medikament, einem B-Zell-gerichteten Antikörper (Ocrelizumab, Ofatumumab, Rituximab, Inebilizumab) oder mit Satralizumab / Tozilizumab oder Eculizumab vorbehandelt wurden. Bei hoher Krankheitsaktivität oder bestimmten Komorbiditäten kann auch eine Kombinationstherapie oder eine überlappende Therapie notwendig sein, zudem ist bei Therapieumstellung eine überbrückende orale Steroidtherapie zu erwägen.
Monitoring & Maßnahmen || unter Therapie
Klinisch-neurologische Kontrolle
Nach dem ersten Behandlungsmonat und dann vierteljährlich müssen klinisch-neurologische Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden (obligat). Hierbei sollte gezielt nach Oberbauchbeschwerden und gastrointestinalen Beschwerden (Übelkeit und Durchfall) sowie vermehrten Infektionen gefragt und diese dokumentiert werden.
Labor-Basisprogramm
Ein Blutbild und Differenzialblutbild sowie Leberwertkontrollen (GOT, GPT, GGT) müssen zu Therapiebeginn regelmäßig, zunächst in den ersten drei Monaten alle zwei Wochen, und dann alle zwei Monate erfolgen, bei guter Verträglichkeit maximal vierteljährlich (obligat). Bei Vortherapie mit einem Immunsuppressivum und bestehenden Blutbildveränderungen sollten zu Beginn wöchentliche Blutbildkontrollen erfolgen. Bei deutlichen und anhaltenden Blutbildveränderungen (Anämie, Neutropenie, Lymphopenie, Thrombozytopenie) kann nach hämatologischer Rücksprache ggf. eine Dosisreduktion erfolgen oder es muss ein Abbruch der Therapie erwogen werden. Bei Patienten mit rezidivierenden Infektionen sollten die Serum-Immunglobuline gemessen werden.
- Impfstatus: Vor Beginn einer Therapie mit MMF soll der Impfstatus überprüft werden und ausstehende und empfohlenen Impfungen (gemäß der STIKO) sollten zeitnah unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität erfolgen.
Radiologische Diagnostik
Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs sowie zur möglichen Einschätzung differentialdiagnostisch relevanter Komplikationen der Therapie sollte einmal jährlich eine MRT des Rückenmarks und des Gehirns durchgeführt werden (fakultativ). Auf die Kontrastmittelgabe sollte verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für Krankheitsaktivität gibt und keine klinischen Hinweise für eine PML oder andere infektiöse oder nicht-infektiöse ZNS-Erkrankungen vorliegen und eine standardisierte Ausgangs-MRT vorliegt.
Während der Therapie
Aufgrund der Wirklatenz von MMF können zu Beginn noch Schübe auftreten. Daher sollte die MMF-Therapie in den ersten Monaten bis Wirkungseintritt in Kombination mit einer oralen Steroidtherapie (erster Monat üblicherweise 20 – 30 mg Prednisolon / Tag, zweiter bis vierter Monat 15 – 20 mg/Tag) erfolgen. Schübe, die unter MMF-Therapie auftreten, können nach Standardvorgaben mit einer Methylprednisolon-Pulstherapie behandelt werden. Ebenfalls möglich ist die Therapie des Schubs mittels Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA). Es gelten die gleichen Empfehlungen wie bei Rituximab bei atypischen Präsentationen eines Schubes bezüglich einer PML.
Besondere Hinweise
Kinder und jugendliche Patienten
Die Erfahrung in der Anwendung von MMF bei Kindern und Jugendlichen beschränkt sich auf wenige Einzelfallberichte; eine allgemein gültige Nutzen-Risiko-Abwägung ist deshalb nicht möglich. Im Alter zwischen 2 und 18 Jahren wurde MMF nach Organtransplantation in einer Dosis von 600 mg/m2 eingesetzt. Bei den Empfehlungen zur Überwachung der Therapie gelten dieselben Maßnahmen wie bei Erwachsenen, möglicherweise besteht ein höheres Risiko für Nebenwirkungen.
Schwangerschaft und Stillzeit
- MMF wirkt stark teratogen und darf nicht in der Schwangerschaft angewendet werden, weshalb eine effektive Kontrazeption für Frauen und Männer empfohlen wird (obligat). Frauen sollten bis sechs Wochen nach Beendigung der Behandlung mindestens eine zuverlässige Form der Kontrazeption anwenden.
- Bei männlichen Patienten wird empfohlen, dass der Patient und / oder dessen Partnerin während der Behandlung und für mindestens 90 Tage nach Beendigung der Behandlung mindestens eine zuverlässige Verhütungsmethode anwendet.
- MMF geht vermutlich in die Muttermilch über und eine Therapie mit MMF ist während der Stillzeit streng kontraindiziert.
Impfungen
Umfassende Untersuchungen zu Impfungen und MMF liegen nicht vor. Grundsätzlich können Impfungen mit sogenannten Totimpfstoffen, mRNA Impfstoffen und Vektorimpfstoffen während der Therapie mit MMF erfolgen. Die Wirksamkeit von Impfungen kann während der Therapie mit MMF eingeschränkt sein. Ggf. ist der Impferfolg mittels Titerkontrolle zu überprüfen (fakultativ). Die Anwendung von attenuierten Lebendimpfstoffen sollte unter der Therapie mit MMF und mindestens bis zu zwei Monate nach Beendigung der Therapie vermieden werden (obligat).
Dauer der Therapie
Da es sich bei der NMOSD um eine chronisch verlaufende Erkrankung handelt, ist wahrscheinlich auch eine lebenslange Therapie notwendig. Belastbare Erfahrungen zur Entwicklung der Erkrankung nach Absetzen einer MMF-Therapie liegen für keinen Zeitpunkt vor; daher ist bei Beendigung der Therapie ohne Initiierung einer alternativen Therapie mit einem Risiko erneuter Schübe zu rechnen.
Bezüglich der Therapiedauer bei der MOGAD können noch keine klaren Empfehlungen gegeben werden, da Daten hierzu nicht vorliegen. Das Absetzen einer MMF-Therapie sollte daher immer individuell mit einem in der Behandlung der MOGAD spezialisierten Zentrum / Arzt besprochen werden.
Autoren
- Prof. Dr. Orhan Aktas
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Ingo Kleiter
Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gGmbH, Berg
- Prof. Dr. Tania Kümpfel
Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU-Klinikum, München
- Prof. Dr. Corinna Trebst
Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover
Weitere Informationen unter „Credits“.
Patientenaufklärung
Das KKNMS stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Mycophenolat Mofetil für Sie bereit.
Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Mycophenolat Mofetil (PDF)
Autoren
Prof. Dr. Orhan Aktas
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Ingo Kleiter
Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gGmbH, Berg
Prof. Dr. Tania Kümpfel
Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU-Klinikum, München
Prof. Dr. Corinna Trebst
Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover
MMF darf nicht in der Schwangerschaft angewendet werden. Dies sollte vor Beginn einer Therapie bei der Familienplanung berücksichtigt werden. Bei konkretem Kinderwunsch bzw. noch offener Familienplanung sollte die Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.