MS

Ofatumumab

Indikation

Ofatumumab (Kesimpta®), ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper der Immunglobulinklasse G1 (IgG1) gegen das Oberflächenmolekül CD20, ist gemäß der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Deutschland seit März 2021 zur Behandlung der aktiven schubförmigen Multiplen Sklerose (relapsing multiple sclerosis, RMS), definiert durch klinische bzw. bildgebende Untersuchungen, bei Erwachsenen zugelassen.

Wirksamkeit und Verträglichkeit von Ofatumumab wurden in zwei doppelblinden, verumkontrollierten Phase-3-Studien (ASCLEPIOS I und II) untersucht und bestätigt. Eingeschlossen wurden 1.882 Patienten mit schubförmig-remittierender und aktiver sekundär-progredienter MS im Alter von 18 bis 55 Jahren, Erkrankungsbeginn im Durchschnitt vor 8 Jahren, einem Behinderungsgrad gemäß EDSS zwischen 0 und 5,5 bei der Voruntersuchung und mit mindestens einem dokumentierten Schub im vorangegangenen Jahr, zwei Schüben in den vorangegangenen zwei Jahren oder einer positiven, Gadolinium-anreichernden MRT-Aufnahme im vorangegangenen Jahr. Patienten erhielten entweder Ofatumumab oder Teriflunomid. Die adjustierte jährliche Schubrate nahm in den jeweiligen Studien unter Ofatumumab im Vergleich zu Teriflunomid um 50,5% bzw. 58,5% ab. Auch war das Risiko einer Behinderungsprogression (Verschlechterung des EDSS-Wertes) unter Ofatumumab um 34,4% (nach 3 Monaten) und 32,5% (nach 6 Monaten) verringert.

Auf Basis der beiden oben genannten Zulassungsstudien kann Ofatumumab bei allen Formen der aktiven schubförmigen MS, definiert durch klinische Schübe oder dem Nachweis mindestens einer Gadolinium-anreichernden Läsion in der MRT, eingesetzt werden. Die Indikation erfordert eine eingehende Nutzen-Risiko-Abwägung.

Kontraindikationen

Ofatumumab ist kontraindiziert bei …

  • Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
  • aktiven schwerwiegenden Infektionen.
  • chronischen Infektionskrankheiten wie HIV und aktiver Hepatitis B. Bei Patienten, die mit Antikörpern gegen CD20 behandelt wurden, kam es zu Reaktivierungen des Hepatitis-B-Virus, die in einigen Fällen zu einer fulminant verlaufenden Hepatitis, Leberversagen und Tod geführt haben.
  • Patienten mit signifikanter Infektionsneigung (z.B. Dekubitus, Aspirationsneigung, rezidivierende Harnwegsinfekte, rezidivierende respiratorische Infekte) sowie stark immungeschwächte Patienten (z.B. ausgeprägte Neutropenie oder Lymphopenie).
  • Patienten mit bekannten aktiven malignen Erkrankungen und bei malignen Vorerkrankungen. Hier sollte eine Abstimmung mit der behandelnden Onkologin, dem behandelnden Onkologen erfolgen.

Eine relative Kontraindikation oder eine noch unzureichende Datenlage bestehen bei …

  • Patienten mit angeborener oder erworbener Immunschwäche, unter onkologischer Therapie oder unter Immunsuppression bei anderer Autoimmunerkrankung. Mit Ausnahme von Kortikosteroiden zur symptomatischen Schubtherapie wird nicht empfohlen, andere Immunsuppressiva zusammen mit Ofatumumab anzuwenden.
  • Schwangerschaft und während der Stillzeit.
  • Kindern unter 18 Jahren. Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit bei pädiatrischer MS liegen nicht vor.
  • Patienten älter als 55 Jahre oder mit einem EDSS-Wert > 5,5. Diese Patientengruppe ist in den Zulassungsstudien nicht untersucht worden. Daher sollte eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden.

Dosierung

Ofatumumab (Kesimpta®) wird als Injektionslösung mittels einer Fertigspritze bzw. eines Fertigpens verabreicht. Jede Fertigspritze bzw. jeder Fertigpen enthält 20 mg Ofatumumab in 0,4 ml Lösung (50 mg/ml). Die empfohlene Dosis beträgt 20 mg Ofatumumab als subkutane Injektion mit:

  • Initialdosen in den Wochen 0, 1 und 2 (alle 7 Tage), gefolgt von
  • monatlichen Gaben beginnend ab Woche 4.

Die Selbstverabreichung durch die Patienten erfolgt mittels subkutaner Injektion. Die üblichen Bereiche für subkutane Injektionen sind Bauch, Oberschenkel und die Außenseiten der Oberarme.

Die erste Injektion sollte von entsprechend geschultem medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden.

In klinischen Studien zur RMS wurde nur ein begrenzter Nutzen einer Prämedikation mit Steroiden beobachtet. Der Einsatz von Prämedikation ist daher nicht erforderlich. Sollten injektionsbedingte Reaktionen auftreten, können diese symptomatisch behandelt werden.

Die Initialbehandlung an Tag 1 sollte unter ärztlicher Beobachtung stattfinden (obligat). Patienten müssen für mindestens eine Stunde nach Injektion überwacht werden (obligat). Die Behandlungen an den Tagen 7 und 14 können unter ärztlicher Beobachtung stattfinden (fakultativ).

Wird eine Injektion ausgelassen, sollte diese so bald wie möglich nachgeholt und nicht bis zur nächsten vorgesehenen Gabe gewartet werden. Die nachfolgenden Dosen sollten in den empfohlenen Zeitintervallen verabreicht werden.

Pharmakokinetik

  • Es wird angenommen, dass Ofatumumab nach subkutaner Anwendung hauptsächlich über das Lymphsystem resorbiert wird.
  • Die Halbwertszeit nach wiederholter subkutaner Verabreichung in einer Dosis von 20 mg wird auf ca. 16 Tage geschätzt.
  • Ofatumumab wird auf zweierlei Wegen eliminiert: einem zielvermittelten Weg, der in Zusammenhang mit der Bindung an B-Zellen steht, und einem zielunabhängigen Weg mit unspezifischer Endozytose und nachfolgendem intrazellulärem Abbau wie bei anderen IgG-Molekülen. Die Gabe von Ofatumumab bedingt eine wirksame Depletion der B-Zellen, was zu einer verminderten Gesamtclearance und insgesamt zu einer nicht-linearen Pharmakokinetik führt.
  • Ofatumumab geht mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Muttermilch über.

Pharmakodynamik

  • In den klinischen Studien zur RMS führte die Gabe von Ofatumumab 20 mg alle 4 Wochen, nach einer Initialbehandlung mit Ofatumumab 20 mg an den Tagen 1, 7 und 14, zu einer raschen und anhaltenden Abnahme der B-Zellen. Bereits zwei Wochen nach Behandlungsbeginn verringerten sich diese auf weniger als lower limit of normal (LLN; definiert als 40 Zellen/μl).
  • Vor Einleitung der Erhaltungsphase, ab Woche 4, wurde bei 94% der Patienten ein Gesamt-B-Zellspiegel von < 10 Zellen/μl erreicht. Bis zur Woche 12 war dies bei 98% der Patienten der Fall und konnte bis zu 120 Wochen aufrechterhalten werden (d.h. während der andauernden Studienbehandlung).
  • Daten aus den klinischen Phase-3-Studien zur RMS deuten auf eine mediane Zeit von etwa 6 Monaten bis zur Normalisierung der B-Zell-Spiegel auf den LLN oder Ausgangswert nach Absetzen der Behandlung hin.

Diagnostik || vor Therapiebeginn

Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen

  • Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sollte gezielt vor jeder Gabe nach dem Vorliegen möglicher Kontraindikationen gesucht werden. Anamnese und Untersuchung sollten detailliert dokumentiert werden (obligat).

Labor-Basisprogramm

  • Routinelaborparameter: Vor Beginn der Therapie müssen Blutbild plus Differenzialblutbild (obligat), Leberwerte (GOT, GPT, GGT, Bilirubin) und Nierenwerte (Kreatinin, Gesamtprotein, Proteinurie, geschätzte Kreatininclearance / GFR) bestimmt werden (fakultativ). Es wird empfohlen einen Immunstatus mit Quantifizierung von CD19+-B-Zellen sowie CD4+-T-Zellen zu erheben und als Ausgangswert zu dokumentieren (fakultativ). Da die Gabe von Ofatumumab die Bestimmung der B-Zellen über das CD20 Molekül beeinträchtigen kann, wird empfohlen B-Zellen im Immunstatus anhand von CD19 zu quantifizieren. Des Weiteren sollte im Serum Gesamt-IgG (obligat) und -IgM (fakultativ) als Ausgangswert quantifiziert werden.
  • Entzündungs- und Infektionsparameter: Bei allen Patienten sollten eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) sowie chronisch aktive bakterielle und virale Infektionen (HBV, HCV, HIV, VZV, Tbc) ausgeschlossen werden (obligat). In der Hepatitis B Diagnostik sollten zumindest Tests auf das Hepatitis-B-Oberflächenantigen (HBsAg) und auf Hepatitis-B-Kernantikörper (HBc-Ak) durchgeführt werden. Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Patienten erforderlich. Bei Verdacht auf Tbc in der Vorgeschichte oder bei Personen mit erhöhter individueller Risikosituation sollte ein TB-Test (z.B. Quantiferon-Test, T Spot-Test) durchgeführt werden (obligat). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat).
  • Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss eine Schwangerschaft, ggf. mittels Schwangerschaftstest, ausgeschlossen werden (obligat).

Impfungen

  • Vor Behandlungsbeginn sollte der Impfstatus gemäß Empfehlungen der STIKO für Erwachsene und Patienten unter immunsuppressiver Therapie (inklusive Pneumokokken) überprüft werden (obligat).
  • Impfungen mit Lebendimpfstoffen oder attenuierten Lebendimpfstoffen sollten grundsätzlich bei Patienten mit MS vermieden und nur bei strenger Indikationsstellung durchgeführt werden. Alle Impfungen mit Lebendimpfstoffen oder attenuierten Lebendimpfstoffen sollten mindestens 4 Wochen vor Beginn der Behandlung abgeschlossen sein. Impfungen mit Lebendimpfstoffen oder attenuierten Lebendimpfstoffen sind unter laufender Ofatumumab-Therapie kontraindiziert und sollten auch nach Absetzen von Ofatumumab nur nach strenger Indikationsstellung und erst nach vollständiger B Zell-Repletion erfolgen.
  • Bei VZV seronegativen Patienten sollte eine Impfung gegen VZV durchgeführt werden (Lebendimpfstoff) (fakultativ). Bei VZV seropositiven Patienten kann eine Impfung mit Totimpfstoff erfolgen (fakultativ). Gegebenenfalls sollte vorher eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse beantragt werden. Die Behandlung mit Ofatumumab sollte erst bei ausreichendem anti-VZV Antikörpertiter begonnen werden (fakultativ).
  • Impfungen mit Totimpfstoffen sollten mindestens 2, besser, 4 Wochen vor der ersten Gabe abgeschlossen werden.
  • Es ist möglich, dass eine Therapie mit Ofatumumab die Wirksamkeit von Impfungen beeinträchtigt.
  • Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) befürwortet das Impfen gegen Covid-19. Es sind keine Daten zur Wirksamkeit oder Nebenwirkungsprofil in Bezug auf Ofatumumab aktuell vorhanden. Diese Informationen werden jedoch stets aktualisiert.

Radiologische Diagnostik

Ein Ausgangs-MRT des Schädels (obligat) mit Kontrastmittel (fakultativ) und des Rückenmarks (fakultativ) sollte vor Behandlungsbeginn zur Feststellung der Aktivität und als Ausgangsbefund für den weiteren Therapieverlauf vorliegen.

Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken

Eine standardisierte Aufklärung über die Risiken und Nutzen der Ofatumumab-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung der Patienten sollte vorliegen (obligat). Über spezifische Nebenwirkungen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen muss aufgeklärt werden. Insbesondere sollte auf folgende Aspekte eingegangen werden:

  • Die wichtigsten und am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen sind überwiegend leicht bis mittelschwer ausgeprägte Infektionen der oberen Atemwege, systemische injektionsbedingte Reaktionen, Reaktionen an der Injektionsstelle (Erythem, Schmerzen, Juckreiz und Schwellung) und Harnwegsinfektionen.
  • Systemische injektionsbedingte Reaktionen (Fieber, Kopfschmerzen, Myalgie, Schüttelfrost und Müdigkeit) waren bei der ersten Injektion am größten (14% der Patienten) und nahmen bei den nachfolgenden Injektionen signifikant ab (< 3% ab der dritten Injektion).
  • Frauen im gebärfähigen Alter sollten während und bis 6 Monate nach der letzten Gabe von Ofatumumab eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden (Methoden, bei denen die Schwangerschaftsrate bei unter 1% liegt).

VORTHERAPIEN || Abstand und Maßnahmen

Wenn von einer anderen Dauertherapie auf Ofatumumab umgestellt wird, sollten die Nebenwirkungen der Vortherapie abgeklungen sein. Aufgrund des vergleichbaren Wirkungsmechanismus orientieren sich die Empfehlungen zu Abständen, abhängig von den Vortherapien, an den Empfehlungen zu Ocrelizumab.

Behandlungsnaive Patienten

Behandlungsnaive Patienten

Es ist keine weitere Zusatzdiagnostik über die o.g. Maßnahmen hinaus nötig.

Interferon-beta oder Glatirameracetat

Vorbehandlung mit Interferon-beta oder Glatirameracetat

Eventuelle Effekte jener Therapien auf das Blutbild (z.B. Lymphopenie, Leukopenie, Anämie) und / oder auf die Leber-/Nierenwerte sollten abgeklungen sein. Es ist keine weitere Zusatzdiagnostik über die o.g. Maßnahmen hinaus und in der Regel kein Sicherheitsabstand nötig.

Dimethylfumarat/Diroximelfumarat

Vorbehandlung mit Dimethylfumarat/Diroximelfumarat

Ein genereller Sicherheitsabstand ist nicht notwendig, jedoch muss eine Normalisierung des Differenzialblutbilds nach letzter Gabe abgewartet werden. Eventuelle weitere Effekte auf das Blutbild (z.B. Zytopenie) sowie auf die Leber-/Nierenwerte sollten abgeklungen sein.

Teriflunomid

Vorbehandlung mit Teriflunomid

Wegen der langen Eliminationshalbwertszeit ist ein Auswaschen des Teriflunomid vor Umstellung notwendig (obligat), und es sollte nach der Auswaschprozedur dokumentiert sein, dass Teriflunomid im Blut nicht mehr nachweisbar ist (obligat). Eventuelle Effekte des Teriflunomids auf das Immunsystem (z.B. Zytopenie) und / oder die Leberwerte sollten abgeklungen sein. Daraus ergibt sich ein Sicherheitsabstand von etwa vier Wochen.

Fingolimod, Siponimod, Ozanimod oder Ponesimod

Vorbehandlung mit Fingolimod, Siponimod, Ozanimod oder Ponesimod

Bei Umstellung von S1P-Rezeptor-Modulatoren auf Ofatumumab muss vor Beginn der Therapie ein Sicherheitsabstand eingehalten werden, der sich nach der Eliminationshalbwertszeit der einzelnen Substanzen (bzw. ihrer bioaktiven Metaboliten) bemisst. Ein Sicherheitsabstand von mindestens vier Wochen nach Absetzen des S1P-Rezeptormodulators wird für Fingolimod und Ozanimod empfohlen, während dieser Abstand bei Siponimod und Ponesimod kürzer sein kann (ein bis zwei Wochen). Pharmakodynamische Wirkungen (Senkung der Lymphozyten im peripheren Blut) können aber nachhinken. Daher ist zum Ausschluss einer relevanten Lymphopenie ein Blutbild plus Differenzialblutbild durchzuführen (obligat). Eventuelle weitere Effekte auf das Blutbild sowie auf andere Laborwerte oder die Vitalwerte sollten abgeklungen sein.

Beim Absetzen von Fingolimod ist zu beachten, dass es zu einer Krankheitsreaktivierung mit in Einzelfällen beschriebenen fulminant verlaufenden Schüben (auch als Rebound bezeichnet) kommen kann. In der Regel tritt die Krankheitsreaktivierung zwei bis vier Monate nach Absetzen von Fingolimod auf. Patienten mit hochaktiver Verlaufsform ihrer MS vor Beginn mit Fingolimod, aber auch Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf Fingolimod scheinen eher zu fulminanten Schüben zu neigen.

Natalizumab oder Natalizumab-Biosimilar

Vorbehandlung mit Natalizumab oder Natalizumab-Biosimilar

Es wird empfohlen, einen Sicherheitsabstand von mindestens sechs bis acht Wochen einzuhalten. Eventuelle Effekte auf das Immunsystem (z.B. Lymphozytose, Zytopenie) sollten abgeklungen sein. Bei allen Patienten muss eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) soweit möglich ausgeschlossen werden (MRT im Abstand von weniger als 3 Monaten vor Therapiebeginn inklusive hoch-sensitiver FLAIR-Sequenz) sowie eine Liquoruntersuchung einschließlich JCV-PCR erfolgen. Insbesondere bei Patienten mit positivem JCV-Antikörperstatus und einer Therapiedauer > 24 Monaten ist eine erhöhte Vigilanz erforderlich.

Untersuchungen an 1.866 Patienten, bei denen Natalizumab wegen der ersten PML-Fälle im Jahr 2005 abgesetzt wurde, haben gezeigt, dass meist die Krankheitsaktivität wieder auftritt wie vor Beginn der Therapie. Weitere Untersuchungen inkl. einer Metaanalyse haben gezeigt, dass bei einigen Betroffenen die Schubaktivität vorübergehend sogar stärker ausgeprägt sein kann als zuvor (= Rebound-Phänomen). Durch den plötzlichen Wegfall der Hemmung durch Natalizumab kommt es zu einem verstärkten und raschen Einstrom von Entzündungszellen ins Nervensystem. Dies kann bereits vier Wochen nach Absetzen bis hin zu sechs Monaten danach auftreten.

Mitoxantron, Azathioprin, Methotrexat, Ciclosporin A oder Cyclophosphamid

Vorbehandlung mit Mitoxantron, Azathioprin, Methotrexat, Ciclosporin A oder Cyclophosphamid

Es wird empfohlen, einen Sicherheitsabstand von mindestens drei Monaten einzuhalten. Eventuelle Effekte auf das Immunsystem (z.B. Zytopenie) bzw. auf die Leberfunktion sollten abgeklungen sein. Im Falle der Vorbehandlung mit Mitoxantron sollte eine Echokardiographie durchgeführt werden (sofern die letzte Untersuchung drei Monate oder länger zurückliegt), bevor die Therapie mit Ofatumumab begonnen wird. Unter der Therapie mit Ofatumumab sollte die klinische Aufmerksamkeit für die mögliche späte Manifestation einer akuten myeloischen Leukämie speziell nach Mitoxantron aufrechterhalten werden und die Laborkontrollen auch in dieser Hinsicht durchgesehen werden (Differenzialblutbild) (obligat).

Cladribin

Vorbehandlung mit Cladribin

Es wird empfohlen, nach dem letzten Behandlungszyklus einen Sicherheitsabstand von mindestens sechs Monaten einzuhalten. Vor Beginn einer anderen Immuntherapie muss ein Differenzialblutbild einschließlich einer Lymphozytentypisierung (CD4+-T-Zellen, CD8+-T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen) erstellt werden (obligat). Regelmäßige Blutbildkontrollen sollten auch nach Therapieende über mindestens fünf Jahre erfolgen (fakultativ). Therapiespezifische Effekte auf das Immunsystem (z.B. Zytopenie) sollten abgeklungen sein.

Bei Umstellung aufgrund von hoher Krankheitsaktivität unter Cladribin-Behandlung muss im Einzelfall über die Wartezeit entschieden werden, und es sollte eine zeitnahe Vorstellung an einem für MS spezialisierten Zentrum erfolgen.

Ocrelizumab, Rituximab oder andere B-Zell-depletierenden Antikörpern

Vorbehandlung mit Ocrelizumab, Rituximab oder anderen B-Zell-depletierenden Antikörpern

Es wird empfohlen, nach der letzten Infusion einen Sicherheitsabstand von mindestens sechs Monaten einzuhalten. Der Sicherheitsabstand kann gegebenenfalls verkürzt werden, wenn durch Lymphozytentypisierung zirkulierende B-Zellen nachgewiesen werden und eine beginnende B-Zell-Repopulation angezeigt wird (Anmerkung: Eine unter der Norm liegende B-Zell-Zahl kann streng genommen nur dann als Zeichen der Repopulation interpretiert werden, wenn die B-Zellen nach der Infusion komplett depletiert, also nicht nachweisbar waren).

Alemtuzumab

Vorbehandlung mit Alemtuzumab

Es wird empfohlen, nach der letzten Infusion einen Sicherheitsabstand von mindestens sechs bis zwölf Monaten einzuhalten. Eventuelle Effekte, z.B. auf das Immunsystem (Zytopenie), sollten abgeklungen sein. Vor Beginn der Behandlung wird empfohlen, einen kompletten Immunstatus einschließlich Lymphozytentypisierung zu erheben (fakultativ). Während der Behandlung mit Ofatumumab muss das nach der letzten Alemtuzumab-Infusion vorgeschriebene klinische und Labormonitoring fortgeführt werden (obligat).

Studienmedikamente

Vorbehandlung mit Studienmedikamenten

Es wird empfohlen, einen Sicherheitsabstand einzuhalten, der mindestens fünf Plasmahalbwertszeiten des Studienmedikaments entspricht bzw. bis pharmakodynamische Effekte des Studienmedikaments abgeklungen sind. Dies sollte anhand objektiver, für das Studienmedikament bekannter Maße dokumentiert werden, z.B. Zytopenie, Leberwerterhöhungen, einschlägige Vitalparameter (obligat).

Monitoring & Maßnahmen || unter Therapie

Klinisch-neurologische Kontrolle

Nach dem ersten Behandlungsmonat und dann vierteljährlich sollten klinisch-neurologische Kontrolluntersuchungen mit mindestens einmal jährlicher EDSS-Erhebung durchgeführt werden (obligat).

Labor-Basisprogramm

Ein Blutbild und Differenzialblutbild sollten vor Therapie und in dreimonatlichen Intervallen bestimmt werden (obligat). Ein Immunstatus mit Quantifizierung absoluter CD19+-B-Zell-Zahlen sollte vor Therapie sowie 12 Wochen nach Erstgabe und dann jährlich erfolgen (fakultativ). Die Quantifizierung von B-Zellen sollte über den Marker CD19 erfolgen, da die Therapie die Quantifizierung über den Marker CD20 beeinträchtigen kann. Immunglobuline im Serum sollten vor Therapie und unter Therapie alle 6 Monate quantifiziert werden: IgG (obligat), IgM (fakultativ). Immunglobuline im Serum sollten auch nach Absetzen von Ofatumumab, zumindest bis zur Normalisierung des Differentialblutbildes (obligat) sowie absoluter CD19+-B-Zell-Zahlen (fakultativ), alle 6 Monate quantifiziert werden.

In den beiden Zulassungsstudien wurde eine Reduktion absoluter CD19+-B-Zell-Zahlen unterhalb der unteren Normgrenze beobachtet: bei 77% bzw. 79% der Patienten eine Woche, bei 95% bzw. 96% der Patienten zwei Wochen und bei 99% bzw. 99,5% der Patienten 12 Wochen nach Therapiestart. Unter der Therapie (Beobachtungszeitraum von 120 Wochen) blieben die CD19+-B-Zell-Zahlen bei 97% und 92% der Patienten konstant unterhalb des unteren Normwertes.

Radiologische Kontrolle

Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs sowie zur möglichen Einschätzung differentialdiagnostisch relevanter Komplikationen der Therapie sollte einmal jährlich eine MRT des Schädels gemäß publizierter Standards durchgeführt werden (fakultativ). Abhängig vom klinischen Verlauf kann eine MRT des Rückenmarks sinnvoll sein. Auf die Kontrastmittelgabe kann verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für einen Krankheitsprogress gibt und die Verlaufs-MRT standardisiert zum Ausgangs-MRT durchgeführt wurde, um die Vergleichbarkeit vor allem bezüglich der T2-Läsionslast zu gewährleisten.

Während der Therapie

Schübe, die unter Ofatumumab auftreten, können nach Standardvorgaben mit einer Methylprednisolon-Pulstherapie behandelt werden.

Ebenfalls möglich ist die Eskalationstherapie des MS-Schubs mittels Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA). Eine beschleunigte Elimination von Ofatumumab infolge der PE / IA ist denkbar, daher sollte die PE / IA falls möglich vor der Ofatumumab-Injektion erfolgen. Ggf. kann es sinnvoll sein, die nächste geplante Gabe von Ofatumumab nach PE / IA zeitlich vorzuziehen.

Bei atypischer klinischer Schubsymptomatik sollte differentialdiagnostisch immer an eine PML gedacht werden. Relevant ist hier die Prüfung von Ursachen für ein mögliches zugrundeliegendes Therapieversagen (z.B. persistierende CD19+-B-Zellen). Sollte sich der klinische Verdacht auf eine PML erhärten, muss eine differentialdiagnostische Abklärung mittels MRT und Liquorpunktion (Nachweis JCV-DNA) unmittelbar angeschlossen werden und die Gabe von Ofatumumab bis zur Klärung ausgesetzt werden.

Besondere Hinweise

Schwangerschaft, Stillzeit und Fertilität

  • Ofatumumab sollte während der Schwangerschaft / Stillzeit grundsätzlich nicht angewendet werden. Frauen im gebärfähigen Alter sind auf die Notwendigkeit einer wirksamen Empfängnisverhütung hinzuweisen (obligat). Nach Absetzen von Ofatumumab sollte mindestens noch weitere 3 Monate verhütet werden. Änderungen dieser Verfahrensweise können im Einzelfall abhängig von der individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung in Rücksprache mit spezialisierten MS-Zentren und einer Gynäkologin, einem Gynäkologen vorgenommen werden, siehe auch Spezialsituationen.
  • Aus den Zulassungsstudien und nach tierexperimentellen Daten sind keine teratogenen Wirkungen und keine Auswirkungen auf die weibliche und männliche Fertilität bekannt. Eine unerwartete Schwangerschaft unter Ofatumumab ist keine zwingende Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch, Ofatumumab sollte aber umgehend abgesetzt, also nicht erneut appliziert werden.
  • Es ist zu erwarten, dass Ofatumumab in die Muttermilch übergeht. Es sollte daher in der Stillzeit nicht angewendet werden.

Impfungen

Studien zu Impfungen unter B-Zell-depletierenden Therapien wie Ocrelizumab zeigen, dass der Impferfolg unter bestehender B-Zell-Depletion vermindert sein kann. Insofern sollten alle von der STIKO für Patienten im Erwachsenenalter und unter Immunsuppression empfohlenen Impfungen 4 Wochen vor Therapiebeginn aufgefrischt, bzw. abgeschlossen werden (obligat). Gegebenenfalls ist der Impferfolg mittels Titerkontrolle zu überprüfen. Die Anwendung von Lebendimpfstoffen und attenuierten Lebendimpfstoffen ist unter der Therapie mit Ofatumumab kontraindiziert (obligat) und sollte auch nach Absetzen von Ofatumumab nur nach strenger Indikationsstellung und erst nach vollständiger B Zell-Repletion erfolgen.

Seit 2018 ist ein Totimpfstoff gegen VZV (Shingrix®) zur Verhinderung von Herpes-zoster-Infektionen zugelassen. Die STIKO empfiehlt diese Impfung bei allen Personen > 60 Jahren. Bei Personen mit einer Grundkrankheit oder Immunschwäche (wie z.B. durch eine MS-Immuntherapie) empfiehlt die Kommission die Impfung bereits ab einem Alter von 50 Jahren (Indikationsimpfung). Da Zoster bei der Anwendung von Immuntherapien ein häufiges Problem darstellen kann, kann individuell überlegt werden, den Impfstoff vor Anwendung einer Immuntherapie einzusetzen (off-label). Gegebenenfalls sollte die Kostenübernahme durch die Krankenkasse beantragt werden.

Zum aktuellen Zeitpunkt kann aufgrund der noch neuen Zulassung von Ofatumumab noch keine Empfehlung für den Zeitpunkt einer Coronaschutzimpfung gemacht werden, da entsprechende Daten fehlen. In Anlehnung an den mechanistisch vergleichbaren Wirkstoff Ocrelizumab, kann eine Impfung mit einem mRNA oder vektorbasierten Impfstoff zwei bis 4 Wochen vor der Erstgabe und vier bis sechs Monate nach der letzten Gabe in Betracht gezogen werden.

Infektionen inklusive PML

Bei akuten Infektionen unter Ofatumumab sind unverzüglich Maßnahmen zu Diagnostik und Therapie einzuleiten. Eine Verlängerung des Therapieintervalls bzw. Verschiebung der nächsten Ofatumumab-Injektion kann sinnvoll sein und sollte erwogen werden. Bei Auftreten chronischer Infektionen wie HIV oder Hepatitis B/C sollte Ofatumumab abgesetzt werden (Laborkontrollen in diesen Fällen obligat). Es sind vereinzelt carry-over PML-Fälle unter Monotherapie mit anderen anti-CD20 monoklonalen Antikörpern aufgetreten, darüber hinaus sind Fälle von PML unter Therapie mit Ofatumumab bei Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie beschrieben, so dass eine erhöhte Vigilanz bezüglich dieser seltenen aber schwerwiegenden Komplikation angezeigt ist.

Krebsvorsorgeuntersuchungen

Da in klinischen Studien unter Ofatumumab-Behandlung sowie unter anderen B Zell-depletierenden Therapien einzelne maligne Erkrankungen beobachtet wurden, sollten die Patienten angewiesen werden, die Standardleitlinien für Krebsvorsorgeuntersuchungen zu beachten (obligat).

Dauer der Therapie

Die maximale Therapiedauer mit Ofatumumab ist momentan nicht bekannt. Jedoch scheint es aus immunologischer Sicht möglich, dass das Auftreten infektiologischer und / oder neoplastischer Nebenwirkungen mit der Therapiedauer steigt, insbesondere da es über die Zeit zu einem Abfall der Antikörperproduktion kommen kann. Die Indikation der Therapiefortführung sollte zunächst nach einem Jahr im Rahmen von regelmäßigen klinischen und paraklinischen Untersuchungen, inklusive des Ausschlusses einer Hypogammaglobulinämie sorgfältig überprüft werden. Dabei ist selbstverständlich die Verträglichkeit zu berücksichtigen und eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen. Das momentane Wissen zur Sicherheit und Wirksamkeit beruht im Wesentlichen auf Daten mit kontinuierlicher Exposition in Monotherapie über zwei Jahre. In der Verlängerungsstudie ALITHIOS werden die Studienpatienten aus den Zulassungsstudien weiter nachbeobachtet.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht geklärt, ob B-Zelldepletierende Therapien kontinuierlich verabreicht werden müssen, um die maximale klinische Wirksamkeit zu entfalten. Es ist möglich, wenn auch momentan noch nicht hinreichend untersucht, dass die Wirkung von Ofatumumab über die eigentliche Depletionsphase hinaus anhält und B-Zellen nach Ofatumumab-vermittelter Depletion in weniger pathogener Form zurückkehren.

Autoren

  • Prof. Dr. Sergiu Groppa

    Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mainz

  • Prof. Dr. Jan Lünemann

    Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster

Weitere Informationen unter „Credits“.

Patientenaufklärung

Das KKNMS stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Ofatumumab für Sie bereit. Diesen können Sie hier herunterladen.

WORKFLOW-TABELLE

VOR der Therapie
WÄHREND der Therapie
Erläuterung

Autoren

Prof. Dr. Sergiu Groppa

Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mainz

Prof. Dr. Jan Lünemann

Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, Universitätsklinikum Münster