MOGAD

Über MOGAD

Hintergrund

Die MOG-Antikörper (MOG-Ak)-assoziierte Enzephalomyelitis (MOG-EM; engl. MOG antibody-associated disorder, MOGAD) ist serologisch durch den Nachweis von IgG-Antikörpern gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) gekennzeichnet und wird als eigenständige Krankheitsentität mit distinkten und teils überlappenden klinischen, radiologischen und histopathologischen Merkmalen von den AQP4-IgG-seropositiven Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (engl. Neuromyelitis optica spectrum disorders, NMOSD) sowie der Multiplen Sklerose (MS) abgegrenzt. Die Erkrankung muss insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit einem NMOSD-Phänotyp, jedoch negativem AQP4-Ak-Serostatus (AQP4-Ak-seronegative NMOSD) in Erwägung gezogen werden und kommt nach gegenwärtigem Kenntnisstand in dieser Subgruppe in ca. 40% der Fälle vor. Sie ist außerdem eine seltene Differentialdiagnose der MS.

Die MOG-EM/MOGAD betrifft alle Altersgruppen, kommt bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen vor und ist durch einen altersabhängigen klinischen Phänotyp, gekennzeichnet durch eine häufigere Manifestation als akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM) oder multifokale ZNS-Beteiligung bei Kindern, charakterisiert. Die Erkrankung nimmt im Erwachsenenalter mehrheitlich einen schubförmigen, dagegen bei Kindern nicht selten einen monophasischen Verlauf. Analog zur NMOSD und in Abweichung von der MS ist eine schubunabhängige Progression neurologischer Behinderung bei MOG-EM/MOGAD nicht typisch. Daneben kommen, unabhängig vom Lebensalter und anders als bei der MS, stumme MRT-Läsionen in Phasen klinischer Remission nur sehr selten vor. Als weiterer Unterschied zu NMOSD und MS, die präferentiell das weibliche Geschlecht betreffen, ist die Geschlechterhäufigkeit bei MOG-EM/MOGAD in etwa gleich verteilt. Koinzidentielle Autoimmunerkrankungen sind im Vergleich zur NMOSD seltener, es gibt jedoch Hinweise auf eine seltene Assoziation mit einer anti-NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptor (R)-Enzephalitis. Inwiefern bei MOG-EM/MOGAD das Risiko für eine NMDAR-Enzephalitis im Vergleich zur Normalbevölkerung generell erhöht ist, ist zum aktuellen Zeitpunkt unklar. In einigen Fällen können Infekte und Impfungen den Schubsymptomen vorausgehen, u.a. wurde in mehreren Fällen die Erstmanifestation einer MOG-EM/MOGAD in zeitlichem Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion oder einer SARS-CoV-2-Impfung (mehrheitlich in Assoziation mit dem ChAdOx1-S-Vakzin) beschrieben.

Häufigste Manifestation bei Erwachsenen ist die rekurrierende (seltener monophasische) unilaterale oder in fast 60% der Fälle bilaterale Optikusneuritis. Die Optikusneuritis äußert sich häufig als anteriore Optikusneuritis mit begleitendem Papillenödem und kann den Phänotyp einer chronisch rezidivierenden Immunoptikusneuropathie (CRION) annehmen und nach Ende einer hochdosierten Steroidtherapie wieder aufflammen bzw. eine Steroidabhängigkeit aufweisen. Zweithäufigste klinische Präsentation ist die rekurrierende (oder monophasische) Myelitis (in > 60% der Fälle als longitudinal extensive transverse Myelitis [LETM], aber auch kurzstreckige Ausdehnung möglich). Im Vergleich zur AQP4-Ak-positiven NMOSD sind die Myelonläsionen häufiger im Konus medullaris lokalisiert und machen sich dementsprechend häufig durch eine Blasen-/Mastdarm-Entleerungsstörung bemerkbar. Weitere Manifestationen sind Hirnstammenzephalitis und seltener auch zerebelläre und multifokale Manifestationen. Hierzu gehören ADEM-ähnliche zerebrale Symptome (u.a. auch tumefaktive Hirnläsionen) und eine kortikale Enzephalitis mit epileptischen Anfällen, die radiologisch gekennzeichnet ist durch fluid attenuated inversion recovery (FLAIR)-hyperintense kortikale Läsionen (FLAIR hyperintense cortical lesions in MOG associated encephalitis, with seizures, FLAMES). Eine oft fast vollständige Rückbildung der Läsionen im MRT ist im Gegensatz zur MS charakteristisch.

Die Prognose gilt im Vergleich zur AQP4-Ak-positiven NMOSD als günstiger, jedoch entwickelt bei schubförmig verlaufender Erkrankung ein beträchtlicher Teil der Betroffenen eine bleibende Behinderung, insbesondere durch visuelle und – in geringerem Umfang – die Mobilität einschränkende Schubresiduen. Bei einem Anteil der Patienten, vor allem im Zusammenhang mit ADEM-Episoden, können sich dauerhafte kognitive Defizite entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit von residualen Defiziten nimmt bei Schüben in höherem Alter zu. Auch das visuelle Outcome nach einer Optikusneuritis scheint mit dem Alter des Patienten gut zu korrelieren.

Zur Erfassung epidemiologischer Daten der MOG-EM/MOGAD-Betroffenen in Deutschland und zur Optimierung der Betreuung dieses seltenen Krankheitsbilds ist eine Kontaktaufnahme mit dem NEMOS-(Neuromyelitis optica Studiengruppe) Register wünschenswert (www.nemos-net.de). Kinder und Jugendliche mit NMOSD können im Rahmen der ESPED (Erhebungseinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen in Deutschland)-Studie zur Erfassung der Häufigkeit über die behandelnden Kinderkliniken gemeldet werden (Ansprechpartner für weitere Informationen) und zusätzlich im NEMOS Junior Zentrum in der Jugendklinik Datteln (Kontaktseite) erfasst werden.

Diagnose

Internationale Konsensus-Empfehlungen zur MOG-Antikörper (Ak)-Testung sowie zur Diagnose der MOG-EM/MOGAD wurden erstmals 2018 veröffentlicht (hier frei abrufbar) und alternative internationale Diagnosekriterien wurden erneut im Januar 2023 vorgeschlagen (hier frei abrufbar).

Indikationen zur Testung auf MOG-IgG bei Patientinnen und Patienten mit akuten demyelinisierenden Erkrankungen sind u.a.:

  • monophasische oder rezidivierende akute Optikusneuritis, insbesondere bei bilateraler Beteiligung und/oder schwerer Visusminderung bzw. Papillenödem
  • monophasische oder rezidivierende akute Myelitis
  • monophasische oder rezidivierende akute Hirnstammenzephalitis/Zerebellitis
  • ADEM
  • zerebrale monofokale oder multifokale Symptome
  • monophasische oder rezidivierende akute Enzephalitis 
  • oder jedwede Kombination dieser Symptome

    und
  • radiologische oder – nur bei Betroffenen mit Optikusneuritis – elektrophysiologische Befunde, die mit einer demyelinisierenden Erkrankung des ZNS vereinbar sind.

Typische paraklinische Befundkonstellationen und Besonderheiten sind u.a.:

  • Papillenödem im Akutstadium einer Optikusneuritis (bei Funduskopie/OCT)
  • fortgeschrittene globale Atrophie der peripapillären Nervenfaserschicht (pRNFLT) im OCT 3-6 Monate später (bleibt pathologisch auch bei Personen mit wieder normalisierter P100-Latenz im VEP)
  • langstreckige Läsionen im vorderen Teil des N. opticus mit charakteristischer perineuraler Kontrastmittelaufnahme (Orbita-MRT)
  • langstreckige Myelonläsionen, inkl. HWS-, BWS-, und Konus-Läsionen, insbesondere bei zentraler Lokalisation und Beteiligung der grauen Substanz (sog. „H-Zeichen“) (spinale MRT)
  • schlecht abgrenzbare größere, teilweise tumefaktive supratentorielle Läsionen in der weißen Substanz bzw. mit Beteiligung der tiefen grauen Substanz (inkl. ADEM-ähnliche Läsionen bei Kindern <10 Jahren) (kraniale MRT)
  • kortikale Läsionen ggf. mit leptomeningealer Beteiligung bei Patientinnen und Patienten mit epileptischen Anfällen (sog. FLAMES, siehe oben) (kranialen MRT)
  • infratentorielle zentral lokalisierte Läsionen im Pons, angrenzend an den 4. Ventrikel oder im mittleren Kleinhirnstiel (häufig bilateral und symmetrisch) (kraniale MRT)
  • zerebrale und spinale T2/FLAIR-Läsionen bilden sich oft im Verlauf ohne Bildung von hypointensen T1-Läsionen komplett oder fast komplett zurück
  • sowohl zerebrale als auch spinale Läsionen können asymptomatisch auftreten
  • die Hälfte bis 2/3 der Patientinnen und Patienten haben keine zerebralen Läsionen (isolierte ON und/oder Myelitis) 

Die Diagnose gilt als gesichert, wenn bei Vorliegen eines der genannten Kernsyndrome serologisch höhertitrige MOG-IgG-Antikörper in einem zellbasierten Assay, der humanes MOG-Protein in voller Länge als Zielantigen verwendet, nachgewiesen werden können (Kommentar siehe unten) und „Red Flags“ sowie das Vorliegen anderer Differentialdiagnosen ausgeschlossen worden sind. Kürzlich wurde bei einer kleinen Subgruppe eine phänotypisch distinkte MOG-IgA-positive und MOG-IgG-negative MOGAD-Variante beschrieben, deren unabhängige Bestätigung jedoch noch aussteht. Eine routinemäßige Testung auf MOG-IgA ist gegenwärtig daher noch nicht zu empfehlen. Dies gilt auch für die MOG-IgG-Testung im Liquor, da die in einigen Studien berichtete intrathekale Produktion von MOG-IgG wegen methodischer Mängel nach wie vor mit Vorsicht zu interpretieren ist.

Zu den „Red Flags“ gehören:

  • Serologie: MOG-IgG am Assay-spezifischen cut-off oder nur eine Titerstufe darüber; MOG-IgG negativ, aber MOG-IgA und/oder MOG-IgM positiv (unklare Signifikanz); MOG-IgG nur im Liquor positiv; MOG-IgG und AQP4-IgG beide positiv.
  • Klinik: Progredienter Verlauf (wie bei SPMS/PPMS); plötzlicher Beginn (<4h bis Maximum); kontinuierliche Verschlechterung über Wochen.
  •  MRT: Läsion benachbart zum 4. Ventrikel, die ovoid/rund ist oder assoziiert mit inferiorer temporaler Läsion; Dawson-Finger-Läsion; neue asymptomatische T2-Läsionen (Hirn/Rückenmark) zwischen Schüben.
  • Liquor: Bi- oder trispezifische MRZ-Reaktion (d.h. M+Z+, M+R+, R+Z+, oder M+R+Z+).
  • Sonstiges: Klinische oder paraklinische Befunde, die auf andere Diagnose als MOG-EM/MOGAD, NMOSD od. MS hinweisen (Neuro-Tuberkulose, Neuroborreliose, Neurosyphilis, Neurosarkoidose, Morbus Behçet, funikuläre Myelose, Leber`sche hereditäre Optikusneuropathie, Vaskulitis, ZNS-Lymphom, Gliomatosis cerebri, paraneoplastisches neurologisches Syndrom, posteriores (reversibles) Enzephalopathie-Syndrom P(R)ES, progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML), andere ZNS-Infektionen); kombinierte zentrale und periphere Demyelinisierung.

Falsch-positive Befunde sind aufgrund der nie hundertprozentigen Spezifität der bisher verfügbaren Assays möglich. Insbesondere bei niedrigen oder grenzwertigen MOG-IgG-Serumtitern und/oder Vorliegen sog. „Red Flags“ ist daher eine Bestätigung des Befundes mit einem unabhängigen zellbasierten Assay oder, falls nicht verfügbar,  in einer Folgeprobe unbedingt ratsam, um das Vorliegen falsch-positiver Befunde auszuschließen. Eine routinemäßige Testung auf MOG-IgG bei Patientinnen und Patienten mit gesicherter MS wird nur dann empfohlen, wenn mindestens eine der der o.g. klinisch/radiologischen Testindikationen vorliegt. Seropositivität für MOG-IgG wurde bei MS Betroffenen in 0-2.5% der Fälle berichtet. Die Wertigkeit positiver MOG-IgG-Befunde bei MS-Diagnostizierten ist unklar und es muss bedacht werden, dass in diesen Fällen evtl. Patientinnen und Patienten mit genuiner MOG-EM/MOGAD möglicherweise als MS fehlinterpretiert wurden bzw. unter Umständen falsch-positive Befunde vorlagen. Das in wenigen Fällen berichtete Vorkommen doppelt-positiver Serumbefunde für MOG-IgG und AQP4-IgG und der Nachweis von MOG-IgG nur im Liquor sind wegen noch unklarer Relevanz und z.T. erheblicher methodischer Mängel der betreffenden Studien gegenwärtig mit Vorsicht zu interpretieren.

Empfohlene Diagnostik

Allgemeine Labordiagnostik

Folgende (Labor)-Untersuchungen sind bei der Ersteinordnung zu empfehlen (obligat):

  • Differenzialblutbild
  • Klinische Chemie mit CRP, Leber- und Nierenwerten, Glucose
  • ANA-Screening, bei positivem Ergebnis Titrierung und weiterführende Differenzierung (ENA, dsDNA)

Diese können durch folgende Untersuchungen ergänzt werden (fakultativ):

  • Anti-Phospholipid-Antikörper, Lupusantikoagulans, β2-Mikrogobulin
  • HSV-, HIV-, HTLV-1-Serologie
  • Borrelia-burgdorferi- und Treponema-pallidum-Serologie
  • Vitamin-B12-Spiegel
  • Holotranscobalamin, Methylmalonsäure
  • Paraneoplastische Antikörper und anti-NMDA-Rezeptorantikörper
  • Lipidstatus, HbA1c
  • Überlangkettige Fettsäuren
  • Kupfer, Zink
  • Manuelles Blutbild und Charakterisierung der Lymphozyten-Subpopulationen
  • Eiweiß-Elektrophorese, Immunfixation Serum
  • Röntgen-Thorax (mit Frage nach bihilärer Lymphadenopathie), ACE, löslicher IL-2 Rezeptor, FDG-PET-Untersuchung mit der Frage nach hypermetabolen Lymphknoten (bei DD Neurosarkoidose) und/oder Tumorerkrankung (ggf. auch Dünnschicht-CT wenn FDG-PET nicht zur Verfügung)
  • Ggf. erweiterte Tumorsuche, insbesondere bei V.a. lymphoproliferative Erkrankung
  • EEG
  • Bei Hinweisen auf eine zusätzliche Erkrankung aus dem rheumatologischen Formenkreis sollten eine weitere Einordnung und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Rheumatologie erfolgen.

Liquordiagnostik

Eine Liquordiagnostik ist obligat und sollte folgende Parameter umfassen:

  • Zellbefund: Zellzahl und -differenzierung
  • Proteinanalytik (in synchron abgenommenen Liquor-Serum-Proben): Gesamtprotein, Albuminquotient, IgG/IgA/IgM-Quotienten, oligoklonale Banden (OKB), MRZ-Reaktion (unbedingt empfohlen)

Im Gegensatz zur MS und ähnlich wie bei der NMOSD gelingt bei MOG-EM/MOGAD der Nachweis von OKB im Liquor deutlich seltener und in nur 10-20% der Fälle (und evtl. nur transient). Die MRZ-Reaktion (Antikörperindizes gegen Masern, Röteln, Zoster) ist in der Regel negativ (eine positive MRZ-Reaktion gilt als ‚Red Flag‘ und sollte immer zu einer Überprüfung des positiven MOG-Ak-Befundes, idealerweise mittels eines zweiten, methodisch abweichenden zellbasierten Assays, Anlass geben). In der Liquorzytologie finden sich analog zur NMOSD insbesondere im Schub oft auch Granulozyten und die Pleozytose kann stärker als bei der MS ausgeprägt sein (mit Zellzahlen > 50/µl bis > 100/µl).

Bestimmung der MOG-Antikörper

Die Bestimmung der MOG-Ak muss obligat mittels eines zellbasierten Assays (cell-based assay, CBA; Zielantigen: humanes Voll-Längen-MOG-Protein, exprimiert in fixierten oder lebenden Testzellen) erfolgen und bei unklarem Ergebnis bzw. anhaltendem Verdacht ggf. wiederholt und validiert werden. Standard ist die Testung auf Antikörper der IgG-Klasse, eine routinemäßie Testung auf MOG-IgA ist gegenwärtig nicht empfohlen. Die Probenentnahme sollte möglichst vor Beginn einer Schubtherapie mit Hochdosis-Steroiden oder einem Plasmaaustauschverfahren erfolgen. Zellbasierte Assays, die Formalin-fixierte MOG exprimierende Testzellen verwenden („fixed CBA“), sind leichter zu standardisieren und breit verfügbar. Dagegen sind Assays, bei denen lebende, MOG-IgG exprimierende Testzellen zum Einsatz kommen und die in einigen Studien hinsichtlich Sensitivität und Spezifität den „fixed CBA“ überlegen erscheinen, bislang nur in Speziallaboratorien möglich. Früher eingesetzte peptidbasierte ELISA-, RIA- und Western-Blot-Tests gelten als obsolet. Niedrige oder grenzwertige Serumtiter sollten mit Vorsicht interpretiert und bestätigt werden. MOG-Ak werden vornehmlich extrathekal produziert. Ob eine Testung von MOG-IgG im Liquor in ausgewählten seronegativen Fällen mit einer MOG-EM/MOGAD-typischen klinischen Präsentation zu einer Verbesserung der diagnostischen Sensitivität führen könnte, ist derzeit wegen methodischer Mängel der betreffenden Studien weiterhin noch kontrovers und Gegenstand der Diskussion.

Therapie

Bisherige Fallserien haben gezeigt, dass MOG-Ak-assoziierte Erkrankungsschübe auf hochdosierte Steroidgaben und auf Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA) ansprechen. Möglicherweise ist auch eine Therapie mit IVIg wirksam und kann insbesondere bei Kindern und in der Schwangerschaft erwogen werden. Die Schubtherapie sollte so rasch wie möglich begonnen und bei unzureichender Besserung auf Steroide und relevanter Residualsymptomatik unverzüglich mittels PE/IA eskaliert werden. Bisher liegen jedoch keine randomisierten Studien zu Eskalationsstrategien vor. Häufiger als bei MS und bei AQP4-Ak-positiver NMOSD sind die Schubsymptome deutlich steroidabhängig, weshalb nach einem Hochdosissteroidpuls eine (ggf. prolongierte) orale Ausschleichphase erfolgen sollte, insbesondere auch dann, wenn eine Langzeit-Immuntherapie geplant ist. Die Datenlage hierzu ist jedoch nicht ganz einheitlich. Zum Einsatz einer frühzeitigen Plasmapherese vor oder parallel zur hochdosierten Steroidgabe analog zur klassischen AQP4-Ak-positiven NMOSD liegen bislang keine ausreichenden Daten vor. In einer retrospektiven NEMOS-Analyse führte die Anwendung der Apherese als Erstlinien-Therapie zu einem besseren Ergebnis im Vergleich zur späteren Zweit-/Drittlinien Apherese.

Zu welchem Zeitpunkt bei MOG-EM/MOGAD eine Langzeit-Immuntherapie begonnen werden soll, ist derzeit nicht präzise definiert, da die Datenlage hierzu noch unzureichend ist. In einer aktuellen Untersuchung konnte gezeigt werden, dass das Auftreten von frühen erneuten Schüben innerhalb des ersten Jahres nach Erstmanifestation mit einem erhöhten Risiko für weitere Erkrankungsschübe einhergeht. In einer weiteren retrospektiven Langzeitbeobachtung über 8 Jahre war das Rezidivrisiko insbesondere nach einer Optikusneuritis als Erstmanifestation und bei jüngeren Patienten (< 18-40 Jahre) erhöht. Zur Langzeittherapie der MOG-EM/MOGAD liegen nur retrospektive Fallserien oder Studien vor. Diese weisen darauf hin, dass Immuntherapien (v.a. Azathioprin, Mycophenolat Mofetil, Rituximab) sowie hochdosierte intravenöse Immunglobuline wirksam zur Stabilisierung der Erkrankung und Verhinderung weiterer Erkrankungsschübe sein können. Zu beachten ist die unter Umständen ausgeprägte Steroidabhängigkeit bezüglich erneuter Schubaktivität, so dass generell bis zum Wirkeintritt einer präventiven Immuntherapie eine überlappende orale Steroidtherapie empfohlen wird. Für Rituximab sind ebenfalls günstige, aber – im Gegensatz zur AQP4-Ak-positiven NMOSD – teilweise auch nicht ausreichende Therapieeffekte, beschrieben. Es besteht kein enger Zusammenhang zwischen Repopulation der CD19/CD20+ B-Lymphozyten und Schubaktivität unter Rituximab-Therapie bei MOG-EM/MOGAD. Zudem gibt es zunehmende Evidenz aus Fallserien, dass auch eine gegen den löslichen und membrangebundenen IL-6-Rezeptor (IL-6R) gerichtete Therapie mit Tocilizumab positive Effekte auch bei Therapie-refraktären Fällen zeigt und als Einzelfallentscheidung zum Einsatz kommen kann. Die Wahl der initialen Immuntherapie richtet sich u.a. nach Ausprägung der klinischen und kernspintomographischen Befunde, Zeitpunkt der therapeutischen Wirkung, Begleiterkrankungen sowie Verträglichkeits- und Nebenwirkungsprofil, Alter und Familienplanung.

Falls unter der initialen Immuntherapie weiterhin Schübe auftreten, ist ein Wechsel auf ein anderes Therapieprinzip sinnvoll. Bei sehr schweren Verläufen kommen auch Kombinationstherapien in Betracht.

Erste multizentrische, randomisierte und Placebo-kontrollierte Studien in der Indikation MOG-EM/MOGAD werden durchgeführt. Geprüft werden der IL-6R-Hemmstoff Satralizumab, der gegen den neonatalen Fc-Rezeptor (FcRn) gerichtete IgG4-Ak Rozanolixizumab sowie außerdem in einer nationalen französischen Studie Azathioprin. Ergebnisse werden erst in einigen Jahren vorliegen (Stand 02.2024).

Da es sich bei den empfohlenen Therapien um einen off-label Gebrauch handelt und wie alle Therapien auch Immuntherapien mit Risiken einhergehen, sollte vor Einleitung einer Behandlung ein ausführliches und dokumentiertes Aufklärungsgespräch erfolgen und Patienten über potentielle Nebenwirkungen (u.a. allergische Reaktion, schwere Infektionen, progressive multifokale Leukenzephalopathie [PML]) umfangreich informiert werden. Beim Einsatz von off-label Therapien soll die betroffene Person darüber aufgeklärt und dies dokumentiert werden bzw. ein schriftliches Einverständnis dieser vorliegen. Vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie gilt es, aktive oder chronische Infektionen zu erfassen (u.a. HIV, Hepatitiden, Tuberkulose). Ebenso ist es obligat, den aktuellen Impfstatus zu ermitteln und über die entsprechenden Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) aufzuklären (siehe Empfehlungen zu Impfungen bei immunsupprimierten Personen). Die Empfehlungen der STIKO müssen unter individuellen Nutzen-Risiko-Betrachtungen umgesetzt werden.

Bzgl. der Dauer der präventiven Immuntherapie kann keine klare Empfehlung gegeben werden. In verschiedenen Studien wurde sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen ein niedriges Rezidivrisiko beschrieben, sofern im Krankheitsverlauf eine Reversion zu negativen Serumtitern stattfindet. Jedoch gilt zu beachten, dass die Seroreversion transient sein kann, d.h. MOG-IgG-Serumtiter spontan oder therapieinduziert nur vorübergehend unter die Nachweisgrenze des betreffenden Assays absinken können, sodass, wenn Therapieentscheidungen auf eine beobachtete Seroreversion gestützt werden, weiterhin regelmäßige Titerkontrollen erforderlich sind.

Auch die an bisher wenigen oder einzelnen MOG-EM/MOGAD-Patienten und Patientinnen erhobene Datenlage hat gezeigt, dass einige der für MS eingesetzten Intervalltherapien unwirksam sind oder sogar den Krankheitsverlauf verschlechtern können. Entsprechend ungünstige Erfahrungen für Verschlechterung bzw. fehlende Wirksamkeit existieren bislang für Interferon-beta, Glatirameroide und Alemtuzumab. Daher sind diese Präparate bei MOG-EM/MOGAD nicht zu empfehlen. Bei Personen, bei denen der Verdacht auf eine MOG-EM/MOGAD besteht, diese aber nicht eindeutig von einer MS abgegrenzt werden kann, sollten diese MS-Medikamente ebenfalls nicht zum Einsatz kommen.

Autoren

  • PD Dr. Ilya Ayzenberg

    Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum

  • Dr. Vivien Häußler

    Institut für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

  • Prof. Dr. Ingo Kleiter

    Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gGmbH, Berg

  • Prof. Dr. Corinna Trebst

    Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover

  • Prof. Dr. Brigitte Wildemann

    Neurologische Klinik, Universität Heidelberg

Weitere Informationen unter „Credits“.

Autoren

PD Dr. Ilya Ayzenberg

Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum

Dr. Vivien Häußler

Institut für Neuroimmunologie und Multiple Sklerose, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Prof. Dr. Ingo Kleiter

Marianne-Strauß-Klinik, Behandlungszentrum Kempfenhausen für Multiple Sklerose Kranke gGmbH, Berg

Prof. Dr. Corinna Trebst

Klinik für Neurologie, Medizinische Hochschule Hannover

Prof. Dr. Brigitte Wildemann

Neurologische Klinik, Universität Heidelberg