NMOSD

Ravulizumab

Indikation

In Deutschland ist Ravulizumab als Ultomiris® (Fa. Alexion) seit Mai 2023 zur Therapie der Aquaporin-4-Antikörper (AQP4-Ak)-positiven NMOSD bei Erwachsenen zugelassen (Evidenzgrad I). Ravulizumab ist nicht zugelassen für die Therapie der NMOSD ohne AQP4-Ak. In der Zulassungsstudie wurden nur AQP4-Ak-seropositive Patienten untersucht. Direkte Vergleichsdaten zur Wirksamkeit gegenüber weiteren, im Qualitätshandbuch NMOSD beschriebenen Therapieoptionen z.B. Eculizumab, Inebilizumab, Satralizumab (zugelassene Therapien) oder Rituximab, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Tocilizumab (off-label Therapien) liegen nicht vor.

Die Entscheidung zur Therapie mit Ravulizumab sollte nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Einbeziehung von Krankheitsaktivität, Therapierisiken und möglichen Therapiealternativen individuell getroffen werden. Auf der Basis der Zulassungsstudie CHAMPION-NMOSD und in Bezug auf die Zulassungsstudie von Eculizumab (PREVENT) sowie unter Berücksichtigung eines erhöhten Risikos von schwerwiegenden Infektionen mit Neisserien kann die folgende Empfehlung zur praktischen Indikation von Ravulizumab gegeben werden. Besonders geeignet für die Therapie mit Ravulizumab sind derzeit:

  • in erster Linie vorbehandelte Patienten mit anhaltender Schubaktivität oder
  • mit Eculizumab vorbehandelte Patienten, die wegen der vorteilhaften längeren Intervalle zwischen den Infusionen auf Ravulizumab umgestellt werden sollen oder
  • nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Bewertung therapienaive Patienten mit besonders hoher Krankheitsaktivität (z. B. hohe Schubfrequenz oder schwere invalidisierende Schübe in der Vorgeschichte)

Es wird empfohlen, die Therapieentscheidung in Absprache mit einem Zentrum mit ausgewiesener Erfahrung in der NMOSD-Behandlung zu treffen und die Patienten im NEMOS-Register zu erfassen.

Ravulizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der an das humane Komplementprotein C5 bindet und dadurch die Aktivierung des terminalen Komplementkomplexes blockiert. Ravalizumab hat gegenüber Eculizumab eine vierfach längere Halbwertszeit und muss daher nach der Aufdosierung nur alle acht Wochen infundiert werden (Eculizumab alle zwei Wochen). Für Ravulizumab wurde im Rahmen der Phase-III-Zulassungsstudie (CHAMPION-NMOSD) die Wirksamkeit bei der AQP4-Ak-positiven NMOSD bestätigt. In der CHAMPION-NMOSD-Studie wurde Ravulizumab open-label verabreicht und die Wirkung der Substanz wurde mit dem Placebo-Arm der Zulassungsstudie für Eculizumab (PREVENT) verglichen, da ein reiner Placebo-Arm als ethisch nicht mehr vertretbar erschien. Jedoch ist zu beachten, dass für den Einschluss in die CHAMPION-NMOSD-Studie eine weniger ausgeprägte Krankheitsaktivität gefordert war als dies für den Einschluss in die PREVENT-Studie der Fall war (CHAMPION-NMOSD: ein Schub in den vergangenen zwölf Monaten; PREVENT: mindestens zwei Schübe in den vergangenen zwölf Monaten oder drei Schübe in den vergangenen 24 Monaten, hiervon ein Schub in den zwölf Monaten zuvor). Bei keinem der 58 Studienteilnehmer, die entweder unbehandelt waren oder eine begleitende immunsuppressive Therapie erhielten, traten während einer medianen Beobachtungszeit von 74 Wochen (50-117 Wochen) weitere Krankheitsschübe auf im Vergleich zu 43% der Patienten, die in der PREVENT-Studie mit Placebo behandelt wurden (20 von 47, hiervon 13 ohne zusätzliche Immuntherapie). Die Patienten werden in einer offenen Extensionsstudie weiterbehandelt und beobachtet.

Die Blockade der terminalen Komplementkaskade durch Ravulizumab erhöht das Risiko von Infektionen, insbesondere mit bekapselten Bakterien (z. B. Neisseria meningitidis und Neisseria gonorrhoeae), weshalb, analog zu Eculizumab, vor Beginn der Therapie zwingend ein Schutz gegenüber Meningokokken vorliegen muss.

Ravulizumab ist unter bestimmten Konditionen bereits zur Therapie erwachsener und pädiatrischer Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) und atypischem hämolytisch-urämischem Syndrom (aHUS) ab einem Körpergewicht von 10 kg zugelassen.  Im September 2022 erhielt Ravulizumab die Zulassung als Zusatztherapie zu einer Standardbehandlung bei Erwachsenen mit Acetylcholin-Rezeptor-positiver generalisierter Myasthenia gravis.

Kontraindikationen

Eine absolute Kontraindikation besteht bei …

  • Hypersensitivität gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
  • nicht ausgeheilter Infektion mit Neisseria meningitidis.
  • Patienten ohne aktuellen Impfschutz oder geeignete Antibiotikaprophylaxe gegen Neisseria meningitidis. Bei Therapiebeginn unter Antibiotikaprophylaxe muss diese bis zwei Wochen nach der Impfung fortgeführt werden.

Eine relative Kontraindikation besteht bei …

  • Schwangerschaft oder während der Stillzeit.
  • akuten und chronischen systemischen Infektionen.

Dosierung

Ravulizumab wird körpergewichtsadaptiert als intravenöse Infusion verbreicht. Das Dosierungsschema besteht aus einer Initialdosis, an die nach zwei Wochen Erhaltungsdosen angeschlossen werden, die dann im Abstand von 8 Wochen gegeben werden. Bei Patienten, die mit Eculizumab vorbehandelt sind, werden die Initialdosis zum Zeitpunkt der nächsten geplanten Eculizumab-Dosis und die erste Erhaltungsdosis nach zwei Wochen verabreicht. Nachfolgend wird die Erhaltungsdosis alle 8 Wochen gegeben.

Dosierungsregime

Vor der BehandlungInitialdosisErhaltungsdosis
≥ 2 Wochen Meningokokken-Impfung*Woche 1Woche 3alle 8 Wochen
Dosierungen in Abhängigkeit
vom Körpergewicht (KG)
Ravulizumab
40 bis < 60 kg2.400 mg3.000 mg3.000 mg
60 bis < 100 kg2.700 mg3.300 mg3.300 mg
≥ 100 kg3.000 mg3.600 mg3.600 mg

Das Dosierungsschema darf in Einzelfällen um ± 7 Tage vom planmäßigen Infusionstag abweichen (außer bei der ersten Erhaltungsdosis von Ravulizumab), die darauffolgende Dosis sollte jedoch gemäß dem ursprünglichen Schema verabreicht werden.

Pharmakokinetik

  • Ravulizumab ist als intravenöse Infusion 100% bioverfügbar. Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Konzentration (tmax) dauert bis zum Ende der Infusion oder bis kurz nach Ende der Infusion. Therapeutische Steady-State-Arzneimittelkonzentrationen werden bereits nach der ersten Dosis erreicht.
  • Das mittlere Verteilungsvolumen im Steady State betrug bei Patienten mit NMOSD 4,77 Liter (Standardabweichung: 0,82).
  • Die Aminosäuren-Sequenz in der schweren Kette von Ravulizumab weicht gegenüber Eculizumab an vier Stellen ab. Diese Modifikation begünstigt die Dissoziation des Ravulizumab C5-Komplexes im Endosom, so dass nach Rückführung des freien Antikörpers in das Gefäßkompartiment dessen Verfügbarkeit dort erhöht ist. Hierdurch wird die Antikörperhalbwertszeit im Vergleich zu Eculizumab vierfach erhöht.
  • Als monoklonaler IgG-Antikörper wird Ravulizumab voraussichtlich auf die gleiche Weise wie jedes endogene IgG verstoffwechselt (über Abbauwege in kleine Peptide und Aminosäuren zerlegt) und unterliegt einer ähnlichen Elimination. Ravulizumab enthält nur natürlich vorkommende Aminosäuren und hat keine bekannten aktiven Metaboliten. Die Mittelwerte (SD) für die terminale Eliminationshalbwertszeit bzw. die Clearance von Ravulizumab bei erwachsenen Patienten mit NMOSD betrugen 64,3 (11) Tage bzw. 0,05 (0,016) Liter/Tag.
  • Ravulizumab wies über den untersuchten Dosierungsbereich hinweg eine dosisproportionale und zeitlich lineare Pharmakokinetik auf.
  • Das Körpergewicht ist eine signifikante Kovariable, die zu einer geringeren Bioverfügbarkeit bei schwereren Patienten führt. Die körpergewichtsadaptierte Dosierung ist im Abschnitt Durchführung und Monitoring der Infusion angegeben.
  • Es wurden keine speziellen Studien zu den Effekten von Geschlecht, ethnischer Abstammung, Alter oder Leber- und Nierenfunktionsstörungen auf die Pharmakokinetik von Ravulizumab durchgeführt. Auf Basis einer pharmakokinetischen Populationsanalyse wurden bei den untersuchten gesunden Probanden und Patienten mit PNH, aHUS, generalisierter Myasthenia gravis und NMOSD jedoch keine Auswirkung von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft sowie Vorliegen einer Leber- oder Nierenfunktionsbeeinträchtigung festgestellt, weshalb Dosisanpassungen als nicht erforderlich angesehen werden.
  • Ravulizumab kann als IgG-Antikörper die Plazentaschranke passieren und somit potentiell im fetalen Kreislauf eine Hemmung der terminalen Komplementkaskade herbeiführen. Es ist nicht bekannt, ob Ravulizumab in die Muttermilch gelangt. Klinische Daten über die Anwendung von Ravalizumab bei schwangeren Patientinnen liegen nicht vor. Bei einer eingeschränkten Anzahl von Patientinnen, die Eculizumab während der Stillzeit bekommen haben, konnte das Präparat in der Muttermilch nicht nachgewiesen werden. Basierend auf nicht-klinischen Studien an Mäusen mithilfe des murinen Surrogat-Antikörpers BB5.1 lassen die präklinischen Daten keine besondere Gefährdung für den Menschen erkennen.

Pharmakodynamik

  • Ravulizumab ist ein terminaler Komplementinhibitor, der spezifisch und mit hoher Affinität an das Komplementprotein C5 bindet. Dadurch wird die C5-Spaltung in die Fragmente C5a und C5b blockiert und die Bildung des terminalen Komplementkomplexes (C5b-9, Membranangriffskomplex) verhindert.
  • In klinischen Phase-III-Studien mit Patienten mit PNH, aHUS, generalisierter Myasthenia gravis und NMOSD wurde jeweils beim Ende der ersten Infusion von Ravulizumab eine unmittelbare, vollständige und nachfolgend über die primäre Behandlungsphase anhaltende Hemmung der freien C5-Serumkonzentration (< 0.5 Mikrogramm/ml) beobachtet.
  • Therapie-assoziierte anti-Ravulizumab-Antikörper wurden bei Patienten mit NMOSD bisher nicht beschrieben und vorbestehend und niedrigtitrig bei einigen Patienten mit generalisierter Myasthenia gravis beobachtet.

Diagnostik || vor Therapiebeginn 

Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen

Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sollten gezielt vor jeder Ravulizumab-Infusion mögliche Kontraindikationen (insbesondere Infektionen) ausgeschlossen werden. Anamnese und Untersuchung müssen detailliert dokumentiert werden (obligat). Bei Patienten mit aktiver systemischer Infektion sollte der Therapiebeginn verschoben werden, bis die Infektion vollständig kontrolliert ist (obligat).

Labor-Basisprogramm

  • Routinelaborparameter: Die Bestimmung von Blutbild plus Differentialblutbild, Leberwerten (GOT, GPT, GGT, Bilirubin) und Nierenwerten (Kreatinin) ist obligat. Die quantitative Bestimmung von Immunglobulinen ist fakultativ.
  • Entzündungs- und Infektionsparameter: Vor der Einstellung auf Ravulizumab sollte ein Screening auf akute Entzündungen (CRP, Urinstatus) und chronische bakterielle und virale Infektionen (Tbc, Lues, HBV, HCV, HIV) erfolgen (obligat). Für die HIV-Serologie ist eine Einverständniserklärung des Patienten erforderlich. Bei V.a. Tbc in der Vorgeschichte oder Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben bzw. Kontakt zu Tbc-Erkrankten haben, sollte auf eine Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Release-Test, z. B. Quantiferon®) (obligat) und bei positivem Testergebnis die Gefahr eine Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat). Zudem sollte überprüft werden, ob Immunität gegen das Varizella-Zoster-Virus vorhanden ist (fakultativ).
  • Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss ein negativer Schwangerschaftstest vorliegen (obligat).

Prophylaxe der Neisseria meningitidis Infektion und weitere Immunisierungen

Die Therapie mit Ravulizumab kann entweder sofort, unter einer antibiotischen Prophylaxe, oder mindestens zwei Wochen nach der vollständigen Immunisierung gegen Meningokokken begonnen werden. Die Immunisierung vor dem Therapiestart kann in einigen Fällen zu einer zusätzlichen Aktivierung des Komplementsystems führen und war laut einer größeren retrospektiven Auswertung von mit Eculizumab behandelten Patienten (NEMOS-Kohorte, N=55) mit einem erhöhten Schubrisiko assoziiert.

  • Antibiotische Meningokokkenprophylaxe: Die antibiotische Meningokokkenprophylaxe kann mit z. B. Penicillinen (Penicillinen V 500 mg 2/d, Amoxicillin 875 mg 2/d) oder im Falle einer Penicillin-Allergie mit Makroliden (Azithromycin 500 mg 1/d) bzw. weiteren gegen Neisseria meningitidis wirksamen Antibiotika erfolgen. Die Impfung sollte in diesem Fall erst unter laufender Ravulizumab-Therapie durchgeführt werden. Die Antibiotikaprophylaxe muss bis mindestens zwei Wochen nach der vollständigen Meningokokkenimpfung fortgeführt werden.
  • Immunisierung: Die Patienten müssen mindestens zwei Wochen vor der ersten Verabreichung von Ravulizumab oder vor dem Absetzen der Antibiotikaprophylaxe gegen Meningokokken der Serogruppen A, C, Y, W135 (Impfstoffe: Menveo®, Nimenrix®, jeweils eine Dosis) und B (Impfstoffe: Bexsero® [2 Dosen], Trumenba® [2 oder 3 Dosen]) geimpft werden. Die Impfstoffe gegen Meningokokken der Serogruppen A, C, Y, W135 bzw. B können bei der ersten Gabe an separater Injektionsstelle (bevorzugt: Deltamuskel der Oberarme) gleichzeitig gegeben werden. Die Impfung mit Bexsero® muss mit mindestens vier Wochen Abstand einmalig wiederholt werden. Die Impfung mit Trumenba® kann entweder nach sechs Monaten einmalig oder mit mindestens vier Wochen Abstand und danach erneut mit mindestens vier Monaten Abstand wiederholt werden. Im weiteren Verlauf wird eine Auffrischung alle zwei bis drei Jahre empfohlen. Zudem sollte der Impfstatus generell vor Therapie überprüft und ggf. aktualisiert werden. Eine erfolgte Impfung schließt eine mögliche Meningokokken-Infektion nicht aus. In der CHAMPION-NMOSD-Studie erkrankten zwei Patienten trotz Impfung an Meningokokken-Infektionen. Insbesondere bei immuntherapeutisch vorbehandelten Patienten kann der Impferfolg eingeschränkt sein, weshalb ggf. eine Impftiterkontrolle erwogen werden kann.
  • Weitere Immunisierungen: Eine Impfung gegen Pneumokokken ist in jedem Alter empfehlenswert und obligat bei Patienten unter 18 Jahren (Off-Label Anwendung) und über 60 Jahren. Patienten unter 18 Jahren (Off-Label Anwendung) müssen zudem gegen Haemophilus influenzae geimpft werden (obligat). 

Radiologische Diagnostik

Ein MRT des Rückenmarks und des Gehirns, bei neuer klinischer Symptomatik möglichst mit Gabe eines Kontrastmittels, sollte vor Behandlungsbeginn mit Ravulizumab (nicht älter als drei Monate) als Ausgangsbefund für den weiteren Therapieverlauf vorliegen (fakultativ).

Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken

Eine standardisierte Aufklärung über Risiken und Nutzen der Ravulizumab-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten sind vor Behandlungsbeginn obligat.

Es sollte speziell auf ein erhöhtes Risiko von schwerwiegenden und potentiell tödlich verlaufenden Infektionen (in erster Linie Meningokokken-Infektionen, v. a. Meningokokken-Sepsis [1:400 pro Jahr] sowie auch Infektionen durch Neisseria gonorrhoeae, Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae B und Schimmelpilz der Gattung Aspergillus) sowie auf Vorsichtsmaßnahmen (sofortige ärztliche Vorstellung und ggf. früher Beginn einer entsprechenden Antibiotikatherapie) ausführlich eingegangen werden. Den Patienten muss vor Therapiebeginn das als Teil der Zulassungsauflagen erstellte Schulungsmaterial zu Ultomiris® in Form der verfügbaren Informationsbroschüre sowie die Patientenkarte ausgehändigt werden.

Vortherapien || Abstand und Maßnahmen

Grundsätzlich sollte eine längere Therapiepause bei AQP4-Ak-positiver NMOSD aufgrund des Risikos schwerer Erkrankungsschübe vermieden werden. Bei Wechsel von Rituximab oder einer anderen immunsuppressiven Dauertherapie (z. B. Azathioprin, MMF, Tocilizumab, Mitoxantron, Methotrexat, Ciclosporin A, Cyclophosphamid) auf Ravulizumab, sollten eventuelle Laborveränderungen (z. B. Lympho- / Leukopenien, Leberwerterhöhungen) und Nebenwirkungen grundsätzlich abgeklungen sein (fakultativ). Sofern ein Therapiewechsel auf Ravulizumab im Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Schubereignis ansteht, kann in Abhängigkeit einer Nutzen-Risiko-Abwägung eine direkte Umstellung der Immuntherapie notwendig sein. In der CHAMPION-NMOSD-Studie hatten knapp die Hälfte der Patienten neben Ravulizumab eine weitere immunsuppressive Therapie (orale Kortikosteroide allein, Azathioprin mit oder ohne Kortikosteroide, MMF, andere). Ein Teil der Patienten war im Jahr vor Studieneinschluss mit Rituximab (abgesetzt vor ≥ 3 Monaten) vorbehandelt. Zwei Patienten erkrankten trotz Impfung an Meningokokken-Infektionen, die folgenlos ausheilten. Einer dieser Patienten erhielt eine Monotherapie mit Ravulizumab und schied nachfolgend aus der Studie aus, der zweite Patient wurde zusätzlich mit MMF und Prednison behandelt, wies nach Rituximab-Vortherapie (bis 13 Monate vor Beginn der Therapie mit Ravulizumab) noch numerisch verminderte B-Zellen auf und setzte die Studie fort. Todesfälle kamen nicht vor. Prinzipiell kann eine Kombinationstherapie (z.B. mit Azathioprin, MMF oder oralen Kortikosteroiden insbesondere bei Patienten mit weiteren komorbiden Autoimmunerkrankungen) durchgeführt werden.

Während der Infusion || Durchführung & Monitoring

Die Verabreichung von Ravulizumab kann zu einer akuten Infusionsreaktion oder anaphylaktischen Reaktionen führen (≥ 1%). Die Therapie soll daher nur unter entsprechenden Kautelen und engmaschiger Überwachung von erfahrenem medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden (obligat). Ravulizumab ist als Konzentrat in verschiedenen Dosierungen verfügbar (Ultomiris® 300 mg/30 ml; Ultomiris® 300 mg/3 ml; Ultomiris® 1100 mg/11 ml). Ultomiris® 300 mg/30 ml darf nicht mit Ultomiris® 300 mg/3 ml oder 1100 mg/11 ml zur Herstellung einer Infusionslösung gemischt werden. Die Infusion muss über einen 0,2 µm-Filter mittels Spritzenpumpe oder Infusionspumpe verabreicht werden, nicht als intravenöse Druck- oder Bolusinjektion und die Infusionszeit muss je nach Dosierung angepasst werden (obligat).

Bezüglich der Handhabung und Herstellung der Infusionslösung, der Dosierung sowie der Infusionsgeschwindigkeit sollte die Fachinformation herangezogen werden.

Die Patienten sollen während und eine Stunde lang nach der Infusion überwacht werden. Im Falle einer systemischen infusionsbedingten Reaktion, wenn Anzeichen einer kardiovaskulären Instabilität oder einer Beeinträchtigung der Atmung auftreten, sollte die Verabreichung von Ravulizumab unterbrochen und geeignete unterstützende Maßnahmen ergriffen werden. Mittel zur Behandlung anaphylaktischer und / oder schwerer Reaktionen müssen verfügbar und das Infusionsteam hinsichtlich der Behandlung von anaphylaktischen und / oder schweren Infusionsreaktionen geschult sein (obligat). Ein uneingeschränkter Zugang zu einer intensivmedizinischen Versorgungs- und Behandlungseinheit im eigenen Haus oder im nächstgelegenen Krankenhaus (z. B. via Rettungstransportwagen) ist nach der Erstversorgung einer schweren Infusions- oder allergischen Reaktion erforderlich (obligat).

Im Falle einer zusätzlichen Plasmapherese/Immunadsorption oder IVIG-Therapie ist innerhalb von 4 Stunden nach jeder Plasmapherese/Immunadsorption bzw. Abschluss eines IVIG-Zyklus eine Ergänzungstherapie notwendig, die niedriger dosiert wird.

Ergänzungsdosis Ravulizumab
nach Plasmapherese/Immunadsorption bzw. Abschluss eines IVIG-Zyklus:

KörpergewichtErgänzungsdosis Ravulizumab (Ultomiris®)
letzte
Ultomiris®-Dosis
zusätzliche Dosis
nach PE
zusätzliche Dosis
nach Abschluss
eines IVIG-Zyklus
≥ 40 bis < 60 kg2.400 mg
3.000 mg
1.200 mg
1.500 mg
600 mg
≥ 60 bis < 100 kg2.700 mg
3.300 mg
1.500 mg
1.800 mg
600 mg
≥ 100 kg3.000 mg
3.600 mg
1.500 mg
1.800 mg
600 mg

Monitoring & Maßnahmen || unter Therapie

Klinisch-neurologische Kontrolle

Vor jeder Medikamenten-Gabe sollen Patienten gezielt nach Zeichen einer Infektion (insbes. systemische Infektion oder Meningitis) befragt bzw. untersucht werden (obligat). Nach dem ersten Behandlungsmonat und dann alle zwei bis vier Monate müssen klinisch-neurologische Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden (obligat). Die Meningokokken-Impfung (gegen Serogruppen A, C, Y, W135 und B) soll alle zwei bis drei Jahre aufgefrischt werden. 

Labor-Basisprogramm

Blutbild und Differentialblutbild sowie Leberparameter (GOT, GPT, Bilirubin, AP) und Nierenwerte (Kreatinin) müssen zu Therapiebeginn in Abhängigkeit möglicher Vortherapien zunächst nach zwei und vier Wochen (obligat) und danach bei guter Verträglichkeit alle zwei bis vier Monate (fakultativ) erfolgen.

Radiologische Kontrolle

Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs sowie zur möglichen Einschätzung differentialdiagnostisch relevanter Komplikationen der Therapie sollte einmal jährlich ein MRT des Rückenmarks und des Gehirns durchgeführt werden (fakultativ). Auf die Kontrastmittelgabe sollte verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für Krankheitsaktivität gibt, keine klinischen Hinweise auf eine PML oder andere infektiöse ZNS-Erkrankungen vorliegen und ein Ausgangs-MRT vorliegt.

Während der Therapie

Schübe, die unter Ravulizumab-Therapie auftreten, können nach Standardvorgaben mit einer Methylprednisolon-Pulstherapie behandelt werden. Bei mittelschweren bis schweren Schüben soll die Schubtherapie rasch (optimalerweise innerhalb von wenigen Tagen nach dem Schubbeginn) auf Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA) eskaliert werden. Dabei muss mit einer beschleunigten Elimination von Ravulizumab gerechnet werden, daher sollte die PE/IA falls möglich vor der Ravulizumab-Gabe erfolgen. Um die Wirkung von Ravulizumab trotz einer Apherese-Therapie aufrechtzuerhalten, soll gemäß Fachinformation innerhalb von vier Stunden nach jeder Apherese-Sitzung eine Ergänzungsdosis verabreicht werden (siehe Abschnitt Während der Infusion, Durchführung und Maßnahmen). Eine ergänzende Ravalizumab-Dosis ist auch nach Abschluss eines IVIG-Zyklus notwendig. Die klinische Relevanz von zusätzlichen Ravulizumab-Gaben während einer Apherese-Schubtherapie wurde bei NMOSD nicht untersucht.

Bei atypischer klinischer Präsentation bzw. Therapieversagen sollte differentialdiagnostisch immer an eine systemische und/oder ZNS-Infektion (vor allem Meningokokken-Infektion sowie je nach Vortherapien ggf. PML) gedacht werden. Insbesondere bei Verschlechterung des Allgemeinzustands mit Progression der vorbekannten Defizite muss eine systemische Infektion ausgeschlossen werden. Folgende klinische Symptome müssen sorgfältig untersucht/abgefragt werden: Kopfschmerzen mit Übelkeit/Erbrechen bzw. Meningismus-Zeichen; Photophobie; Fieber; Hautausschlag; Verwirrtheit; grippeartige Symptome mit begleitenden Myalgien. Sollte sich der Verdacht auf eine systemische oder ZNS-Infektion erhärten, muss eine differentialdiagnostische Abklärung mittels MRT, Liquoruntersuchung (inkl. Mikroskopie, ggf. Meningokokkenantigen-Nachweis, PCR), Blutuntersuchungen (inkl. Blutkultur und PCR-Untersuchung) bzw. weitere Diagnostik zur Fokussuche unmittelbar angeschlossen werden (obligat).

Besondere Hinweise

Schwangerschaft und Stillzeit

  • Grundsätzlich sollte Ravulizumab während der Schwangerschaft / Stillzeit nicht angewendet werden. Gemäß der EMA Empfehlungen sind Frauen im gebärfähigen Alter auf die Notwendigkeit einer wirksamen Empfängnisverhütung während der Behandlung und mindestens 8 Monate nach der letzten Ravulizumab-Dosis hinzuweisen (obligat).
  • Eine unerwartete Schwangerschaft unter Ravulizumab ist keine zwingende Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch. Es wird empfohlen im Falle einer unerwarteten Schwangerschaft die Patientinnen im NEMOS-/Schwangerschafts-Register zu erfassen, um eine entsprechende Analyse zu ermöglichen.
  • Sollte nach einer kritischen Nutzen-Risiko-Analyse im Rahmen einer individuellen Therapieentscheidung die Behandlung während einer Schwangerschaft für notwendig erachtet werden, wird zu einer strengen Überwachung von Mutter und Fetus entsprechend den lokalen Leitlinien geraten. 

Aktuell liegen noch keine klinischen Daten bzw. Studien an Schwangeren vor. Humanes IgG passiert bekanntlich die Plazentaschranke und demzufolge kann Ravulizumab potentiell eine terminale Komplementinhibition im fetalen Kreislauf verursachen.

Es ist nicht bekannt, ob Ravulizumab in die Muttermilch übergeht. Gemäß der EMA Empfehlungen sollte das Stillen während und bis 8 Monate nach der Behandlung mit Ravulizumab unterbrochen werden.

Impfungen

Bezüglich der Impfungen vor Therapiebeginn siehe Abschnitt Diagnostik, Punkt 3, Unterpunkt Immunisierung. Nach abgeschlossener Meningokokken-Impfung wird im weiteren Verlauf eine Auffrischung alle zwei bis drei Jahre empfohlen.

Infektionen

Aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos für bestimmte Erreger (s. o.) ist eine erhöhte Vigilanz erforderlich. Bei akuten Infektionen unter Ravulizumab sind unverzüglich Maßnahmen zu Diagnostik und Therapie einzuleiten. Neben Meningokokken-Infektionen, die oft in Form einer systemischen Infektion und nicht als Meningitis auftreten, wurden schwere disseminierte Gonokokken-und Aspergillus-Infektionen sowie Infektionen durch Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenza B (Hib) beschrieben. Bei Symptomen einer akuten unklaren Infektion wird es empfohlen eine Stand-by Prophylaxe mit Ciprofloxacin (1x750mg) einzunehmen und dringend einen Arzt aufzusuchen.

Dauer der Therapie

NMOSD ist eine chronisch verlaufende Erkrankung. Auch nach mehrjährigem schubfreiem Intervall kann sich eine Schubaktivität entwickeln, so dass eine lebenslange Immuntherapie grundsätzlich empfohlen wird. Das erhöhte Risiko von schwerwiegenden Infektionen schränkt eine lebenslange Therapie ein, zudem bestehen sehr hohe Therapiekosten. Bei Beenden der Ravulizumab-Therapie muss der Beginn einer alternativen Immuntherapie erwogen werden. Das erhöhte Risiko einer Meningokokken-Infektion besteht noch mehrere Monate nach dem Absetzen der Ravulizumab-Therapie.

Autoren

  • PD Dr. Ilya Ayzenberg

    Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum

  • Prof. Dr. Brigitte Wildemann

    Neurologische Klinik, Universität Heidelberg

Weitere Informationen unter „Credits“.

Patientenaufklärung

Das KKNMS stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Ravulizumab für Sie bereit.

Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Ravulizumab (PDF)

WORKFLOW-TABELLE

VOR der Therapie
WÄHREND der Therapie
Erläuterung

Autoren

PD Dr. Ilya Ayzenberg

Neurologische Klinik der Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. Brigitte Wildemann

Neurologische Klinik, Universität Heidelberg