Indikation
Interferon-beta ist in Deutschland zur verlaufsmodifizierenden Therapie der schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose (MS) zugelassen. Das KKNMS empfiehlt den Einsatz von Interferon-beta bei Patienten mit milder/moderater Verlaufsform einer schubförmigen MS. Es liegt in Varianten und verschiedenen Darreichungsformen mit unterschiedlichen Applikationsfrequenzen und -routen vor:
- Interferon-beta 1a (Avonex®) 30 μg; 1x wöchentlich, i.m.
- Interferon-beta 1a (Rebif®) 22 μg bzw. 44 μg; 3x wöchentlich, s.c.
- Peginterferon-beta 1a (Plegridy®) 125 μg; 2x monatlich, s. c. und i.m.
- Interferon-beta 1b (Betaferon® / Extavia® jeweils 250 μg); jeden zweiten Tag, s.c.
Des Weiteren ist Interferon-beta bei Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (KIS) und einem hohen Risiko, eine MS zu entwickeln, zugelassen (Indikation für Avonex®, Rebif®, Betaferon® / Extavia®).
Die Zulassung der Substanz für diese beiden Patientengruppen beruht vorrangig auf einer signifikanten Reduktion der Schubfrequenz gegenüber Placebo. Einzelne Präparate haben auch eine Zulassung zur Therapie der sekundär chronisch progredienten MS bei nachweisbaren aufgesetzten Schüben (Rebif®, Betaferon® / Extavia®). Interferon-beta ist dagegen nicht zur Therapie der primär progredienten MS zugelassen.
Kontraindikationen
Interferon-beta ist kontraindiziert bei…
- Überempfindlichkeit gegen die Substanz oder einen der sonstigen Bestandteile.
- schwerer akuter Depression oder Suizidalität.
- dekompensierter Leberinsuffizienz.
Eine relative Kontraindikation besteht bei…
- Kindern unter zwölf bzw. unter zwei Jahren. Für diese Altersgruppen bestehen nicht genügend Informationen, um die Behandlung mit Interferon-beta zu empfehlen; daher sollte Interferon-beta bei Kindern unter zwölf bzw. zwei Jahren nicht angewendet werden. Das Sicherheitsprofil bei Jugendlichen von zwölf bis 18 Jahren ist dagegen nach den vorliegenden Daten mit dem von Erwachsenen vergleichbar, entsprechend liegt eine Zulassung für nicht pegyliertes Interferon-beta zur Behandlung MS-Kranker in dieser Altersgruppe vor. Peginterferon beta-1a ist nur bei erwachsenen RRMS-Patienten zugelassen. Laufende Zulassungsstudien zu Peginterferon beta-1a bei Kindern und Heranwachsenden sind noch nicht abgeschlossen. Für Kinder zwischen zwei und elf Jahren liegen zu Rebif® Sicherheitsdaten vor, die aus Patientenakten von Kindern (n = 52) erhoben wurden. Das Sicherheitsprofil bei Kindern dieser Altersgruppe, die Rebif® 22 μg oder 44 μg subkutan dreimal wöchentlich erhalten, ähnelt dem Sicherheitsprofil von Erwachsenen. Ähnliche limitierte Daten weisen darauf hin, dass das Sicherheitsprofil bei Jugendlichen im Alter von zwölf bis 16 Jahren, die einmal wöchentlich 30 μg Avonex® i. m. erhalten, dem von Erwachsenen vergleichbar ist. Die Sicherheit und Wirksamkeit bei Kindern im Alter von weniger als zwei Jahren ist bisher noch nicht erwiesen.
- Epilepsie, die sich medikamentös nicht kontrollieren lässt.
- Leberfunktionsstörungen.
- Erkrankungen der Nieren und der Harnwege (Nephrotisches Syndrom, schwere Nierenfunktionsstörungen).
- abnormen Laborwerten.
- verminderten peripheren zellulären Bestandteilen.
- thrombotischer Mikroangiopathie (TMA).
- Herzerkrankungen.
- Depression.
Dosierung
Interferon-beta wird als parenterale Therapie in Form der o.g. verschiedenen Präparate subkutan bzw. intramuskulär injiziert. Dosisanpassungen nach Gewicht, Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit werden nicht vorgenommen. Bei leichter oder moderater Leberinsuffizienz sowie Niereninsuffizienz sind keine Anpassungen der Dosis notwendig.
Pharmakokinetik
- Daten zur Pharmakokinetik von Interferonen stammen vorwiegend aus Untersuchungen von gesunden Probanden, nicht von Multiple-Sklerose-Patienten.
- Interferon-beta wird hauptsächlich von der Leber und den Nieren metabolisiert und ausgeschieden.
- Unter einer Therapie mit Interferon-beta können sich persistierende neutralisierende Antikörper (NAbs) gegen das Medikament entwickeln, die mit einem Verlust an Wirksamkeit assoziiert sind. Dabei unterscheidet sich die Prävalenz zwischen den verschiedenen Präparaten (Betaferon ®/Extavia® > Rebif® > Avonex® > Plegridy®). NAbs sind kreuzreaktiv, sodass ein Wechsel innerhalb der Klasse der Interferone bei sekundärem Therapieversagen aufgrund von NAbs nicht sinnvoll erscheint.
Pharmakodynamik
- Interferone gehören zu den Zytokinen, somit natürlich vorkommenden Proteinen, denen über Wechselwirkungen mit spezifischen Zellrezeptoren auf der Oberfläche menschlicher Zellen sowohl antivirale wie auch immunregulatorische Wirkungen zugeschrieben werden.
- Die exakte Wirkungsweise von Interferon-beta bei Multipler Sklerose ist nicht genau geklärt. Es ist jedoch bekannt, dass die Bindung von Interferon-beta an seine Rezeptoren zur Bildung einer Reihe von Genprodukten (wie z. B. 2‘-5‘-Oligoadenylatsynthetase, Beta-2-Mikroglobulin, Neopterin oder MxA-Protein) führt, die als Mediatoren der biologischen Wirkungen von Interferon-beta betrachtet werden.
- Die oben aufgeführte differentielle Indikation (für RRMS, SPMS, KIS) für die verschieden Interferon-beta Varianten leitet sich aus den Ergebnissen der klinischen Phase III-Studien ab, in denen jeweils insbesondere eine klinische Wirksamkeit in Bezug auf die Reduktion der Schubhäufigkeit (primärer Studienendpunkt) gezeigt wurde.
Diagnostik || vor Therapiebeginn
Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen
Durch eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sollten gezielt vor Therapieinitiierung mögliche Kontraindikationen ausgeschlossen werden. Der Untersuchungsbefund ist auch als Ausgangsbefund zur späteren Evaluation des Therapieerfolgs unerlässlich. Anamnese und Untersuchung sowie die Indikationskriterien müssen detailliert dokumentiert werden (obligat).
Labor-Basisprogramm
- Routinelaborparameter: Die Bestimmung von Blutbild plus Differenzialblutbild, Leberwerten (GOT, GPT, GGT, Bilirubin) und Nierenwerten (Kreatinin und geschätzte Kreatininclearance/GFR), insbesondere auch als Ausgangsbefunde, sind obligat.
- Entzündungs- und Infektionsparameter: Vor Beginn der Therapie mit Interferon-beta müssen akute Entzündungen (Urinstatus) ausgeschlossen werden (obligat).
Radiologische Diagnostik
Ein Ausgangs-MRT des Schädels mit Kontrastmittel und ggf. des Rückenmarks muss vor Behandlungsbeginn mit Interferon-beta vorliegen (nicht älter als zwölf Monate), um für den weiteren Therapieverlauf als Ausgangsbefund zu dienen (obligat).
Verschiedene Publikationen beschreiben Ablagerungen bzw. Signalveränderungen in speziellen Hirnarealen nach mehrmaligen Kontrastmittelgaben. Ein Krankheitsbild oder Symptome sind auf diese jedoch bislang nicht zurückzuführen. Das KKNMS empfiehlt, bei der Diagnosestellung weiterhin gadoliniumhaltige Kontrastmittel einzusetzen, um die Diagnose nicht zu verzögern und ein aussagekräftiges, standardisiertes Ausgangs-MRT zu erzielen. Im Krankheitsverlauf kann dann auf die Kontrastmittelgabe verzichtet werden, solange kein klinischer Anhaltspunkt für einen Krankheitsprogress vorliegt und wenn leitliniengerechte MRT-Kontrollen unter Therapie routinemäßig durchgeführt werden.
Dokumentierte Aufklärung der Patienten über Therapie und Risiken
Eine standardisierte Aufklärung mit schriftlicher Einwilligungserklärung zur Therapie ist ratsam (fakultativ). Über mögliche Interferon-betaspezifische Nebenwirkungen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen muss aufgeklärt werden. Hierbei muss insbesondere auf folgende Aspekte eingegangen werden:
- Die häufigste Nebenwirkung (mind. 1 von 10 Menschen) ist das Auftreten grippeähnlicher Symptome wie Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Schüttelfrost oder Fieber. Diese Beschwerden finden sich zu Beginn der Therapie mit Interferon-beta häufiger und nehmen in der Regel mit Fortsetzung der Injektionen ab. Zu Therapiebeginn kann eine Dosistitration helfen, grippeähnliche Symptome zu mindern. Eine prophylaktische und begleitende Behandlung mit Entzündungshemmern, Analgetika und/oder Antipyretika kann grippeähnliche Symptome verhindern oder mindern. Die Einnahme ca. 30 Minuten vor der Injektion bei nicht pegyliertem Interferon-beta kann diese Symptome reduzieren.
- Bei subkutaner Applikation kann es zu einer lokalen Reaktion an der Injektionsstelle kommen. Diese kann von Erythem, Schmerz und Pruritus bis zu lokaler Entzündung reichen. Eine suffiziente Desinfektion der Einstichstelle sowie Kühlung können das Auftreten und das Ausmaß lokaler Injektionsreaktionen reduzieren. Die Injektionen sollten in wechselnde Areale stattfinden, wobei die Injektionslösung zuvor Raumtemperatur angenommen haben sollte.
- Weitere Nebenwirkungen umfassen (die Häufigkeiten können für die einzelnen Präparate abweichen, die Angaben sollen nur der Orientierung dienen): weniger als 1 von 10 Menschen betroffen (häufig): Appetitverlust, Schwächegefühl, Schlafstörungen, Depression, Hitzewallungen, Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen, Taubheitsgefühle, vermehrtes Schwitzen, Muskel-und Gelenkschmerzen, Muskelkrämpfe, Schmerzen an der Injektionsstelle, Blutbildveränderungen, Abnahme der Leukozyten und/oder Lymphozyten, Muskelspastik/-krämpfe/-steifheit, Hypoästhesie, Rhinorrhoe, Ausschlag, Schwitzen, Kontusion, Müdigkeit.
- weniger als 1 von 100 Menschen betroffen (gelegentlich): Haarausfall, Veränderungen der Regelblutung (Metrorrhagie, Menorrhagie), Thrombozytopenie, Brennen der Injektionsstelle.
- weniger als 1 von 1000 Menschen betroffen (selten): Atemnot, thrombotische Mikroangiopathie, die mit einer Thrombozytopenie, Neuauftreten einer Hypertonie und eingeschränkter Nierenfunktion oder einschließlich einer thrombotischen thrombozytopenischen Purpura oder einem hämolytisch-urämischen Syndrom einhergehen kann, nephrotisches Syndrom, Glomerulosklerose, Nekrose an der Injektionsstelle.
Vortherapien || Abstand und Maßnahmen
Behandlungsnaive Patienten
Es ist keine weitere Zusatzdiagnostik über die o. g. Maßnahmen hinaus nötig.
Vorbehandlung mit Glatirameracetat
Es ist kein besonderer Sicherheitsabstand notwendig und keine weitere Zusatzdiagnostik über die o.g. Maßnahmen hinaus nötig.
Vorbehandlung mit Dimethylfumarat/Diroximelfumarat
Es ist kein besonderer Sicherheitsabstand notwendig. Eventuelle Effekte von Dimethylfumarat/Diroximelfumarat auf Blutbild und Leberwerte sollten jedoch abgeklungen sein.
Vorbehandlung mit Teriflunomid
Es sollte vor Therapiewechsel zum Ausschluss einer relevanten Leukopenie ein Blutbild plus Differenzialblutbild erfolgen. Wegen der langen Eliminationshalbwertszeit ist eine beschleunigte Auswaschung vor Umstellung möglich, aber aufgrund der vorliegenden Phase-II-Studienerfahrungen in der Kombinationstherapie mit Teriflunomid und Interferon-beta nicht obligat. Ein Sicherheitsabstand von mindestens vier Wochen sollte eingehalten werden.
Vorbehandlung mit Fingolimod, Siponimod, Ozanimod oder Ponesimod
Bei Umstellung von S1P-Rezeptor-Modulatoren auf Interferon-beta muss vor Beginn der Therapie ein Sicherheitsabstand eingehalten werden, der sich nach der Eliminationshalbwertszeit der einzelnen Substanzen (bzw. ihrer bioaktiven Metaboliten) bemisst. Ein Sicherheitsabstand von mindestens vier Wochen nach Absetzen des S1P-Rezeptor-Modulators wird für Fingolimod und Ozanimod empfohlen, während dieser Abstand bei Siponimod und Ponesimod kürzer sein kann (ein bis zwei Wochen). Pharmakodynamische Wirkungen (Senkung der Lymphozyten im peripheren Blut) können aber nachhinken. Daher ist zum Ausschluss einer relevanten Lymphopenie ein Blutbild plus Differenzialblutbild durchzuführen (obligat).
Beim Absetzen von Fingolimod ist zu beachten, dass es bei ca. 10% der mit Fingolimod behandelten Patienten zu einem Rebound-Phänomen mit zum Teil fulminant verlaufenden Schüben kommen kann. In der Regel tritt das Rebound-Phänomen zwei bis vier Monate nach Absetzen von Fingolimod auf. Patienten mit hochaktiver Verlaufsform ihrer MS vor Beginn mit Fingolimod, aber auch Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf Fingolimod scheinen eher zu einem Rebound zu neigen.
Vorbehandlung mit Natalizumab oder Natalizumab-Biosimilar
Ein Sicherheitsabstand von mindestens vier Wochen sollte eingehalten werden. Vor Therapiebeginn mit Interferon-beta sollten ein Differenzialblutbild und eine Untersuchung der Leberwerte durchgeführt werden (obligat).
Untersuchungen an 1.866 Patienten, bei denen Natalizumab wegen der ersten PML-Fälle 2005 abgesetzt wurde, haben gezeigt, dass meist die Krankheitsaktivität wieder auftritt wie vor Beginn der Therapie. Weitere Untersuchungen inkl. einer Metaanalyse haben gezeigt, dass bei einigen Betroffenen die Schubaktivität vorübergehend sogar stärker ausgeprägt sein kann als zuvor (= Rebound-Phänomen). Durch den plötzlichen Wegfall der Hemmung durch Natalizumab kommt es zu einem verstärkten und raschen Einstrom von Entzündungszellen ins Nervensystem. Dies kann bereits 4 Wochen nach Absetzen bis hin zu 6 Monaten danach auftreten.
Vorbehandlung mit Azathioprin, Ciclosporin A, Mitoxantron oder Methotrexat
Bei Wechsel auf Interferon-beta ist ein Sicherheitsabstand von mindestens drei Monaten notwendig. Vor Beginn sollte zum Ausschluss einer relevanten Lymphopenie ein Blutbild plus Differenzialblutbild durchgeführt werden (fakultativ).
Vorbehandlung mit Cladribin
Wenn aufgrund von Nebenwirkungen oder nicht ausreichender Wirksamkeit der Cladribin-Behandlung auf eine andere Immuntherapie umgestellt wird, ist ein Sicherheitsabstand von mindestens sechs Monaten nach dem letzten Behandlungszyklus einzuhalten. Vor Beginn einer anderen Immuntherapie muss ein Differenzialblutbild einschließlich einer Lymphozytentypisierung (CD4+-T-Zellen, CD8+-T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen) erstellt werden (obligat). Regelmäßige Blutbildkontrollen sollten auch nach Therapieende über mindestens fünf Jahre erfolgen (fakultativ). Therapiespezifische Effekte auf das Immunsystem (z.B. Zytopenie) sollten abgeklungen sein.
Bei Umstellung aufgrund von hoher Krankheitsaktivität unter Cladribin-Behandlung muss im Einzelfall über die Wartezeit entschieden werden, und es sollte eine zeitnahe Vorstellung an einem für MS spezialisierten Zentrum erfolgen.
Vorbehandlung mit Ocrelizumab, Ofatumumab oder Rituximab
Hier sollte der Sicherheitsabstand vor Beginn der Therapie mit Interferon-beta mindestens sechs bis zwölf Monate betragen. Ein Differenzialblutbild muss (obligat), eine durchflusszytometrische Zellphänotypisierung kann erhoben werden (fakultativ). Effekte jener Therapien auf das Immunsystem (z.B. Zytopenie) sollten abgeklungen sein.
Vorbehandlung mit Alemtuzumab
Die Umstellung von Alemtuzumab auf Interferon-beta sollte frühestens sechs bis zwölf Monate nach der letzten Infusion mit Alemtuzumab erfolgen. Vor Beginn der Therapie sollte ein Blutbild plus Differenzialblutbild durchgeführt werden (obligat). Eine durchflusszytometrische Zellphänotypisierung kann fakultativ erstellt werden.
Vorbehandlung mit Studienmedikamenten
Hier kann kein fester Sicherheitsabstand angegeben werden. Effekte jener Therapien auf das Immunsystem (z.B. Zytopenie) bzw. weitere Organsysteme (z.B. Autoimmunerkrankungen) sollten abgeklungen sein. Es sollte eine Rücksprache mit dem MS-Zentrum erfolgen, welches den Patienten während der Studie betreut hat. In jedem Fall sollte die jeweilige fünffache Eliminationshalbwertszeit des Studienpräparats abgewartet werden und ein normaler Immunstatus (Differenzialblutbild) vorliegen (obligat).
Monitoring & Maßnahmen
Klinisch-neurologische Kontrolle
Regelmäßige neurologische Kontrolluntersuchungen in vierteljährlichen Abständen sollten durch MS-erfahrene Behandler erfolgen. Die Anamnese und Untersuchung müssen schriftlich dokumentiert werden (obligat).
Labor-Basisprogramm
Routinelaborparameter: Die Bestimmung eines Differenzialblutbilds sowie von Leber- und Nierenwerten sind einen Monat nach Therapiebeginn und danach zumindest im ersten Therapiejahr in dreimonatlichen Intervallen ratsam (fakultativ). In der Folge kann bei unauffälligen Laborwerten eine Streckung der Kontrollintervalle z. B. auf ein- bis zweimal jährlich erwogen werden.
Unter Interferon-beta sind abnorme Leberfunktionstests, Nierenwerte, Schilddrüsenunter- und -überfunktion sowie Blutbildveränderungen (Leukozytose bzw. Leukopenie, Thrombopenie) und seltener auch thrombotische Mikroangiopathien, nephrotisches Syndrom und hämolytisch-urämisches Syndrom beschrieben, die Laborkontrollen in Analogie zu anderen dauerhaft gegebenen Immuntherapeutika für die milde / moderate Verlaufsform einer schubförmigen MS sinnvoll erscheinen lassen.
Radiologische Kontrolle
Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs sowie zur Abschätzung der notwendigen Dauer der Therapie soll vor Beginn der Therapie und anschließend zumindest in den ersten beiden Therapiejahren jährlich ein MRT des Schädels und ggf. des Myelons durchgeführt werden (fakultativ). Auf die Kontrastmittelgabe sollte verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für einen Krankheitsprogress gibt und ein standardisiertes Ausgangs-MRT vorliegt.
Während Therapie
Interferon-beta wird subkutan oder intramuskulär verabreicht. Die Einleitung der Therapie ist von einem Neurologen oder einem in der Behandlung der MS erfahrenen Arzt zu überwachen.
Schübe, die unter Interferon-beta auftreten, können nach Standardvorgaben mit Kortikosteroiden bzw. mittels einer Plasmapherese oder Immunadsorption behandelt werden.
Eine Kombination von Interferon-beta mit anderen Immuntherapien ist außerhalb von Studien kontraindiziert.
Besondere Hinweise
Schwangerschaft, Stillzeit und Fertilität
- Weitreichende Erfahrungen (mehr als 1.000 Schwangerschaftsausgänge) aus Registern und nach Markteinführung deuten nicht auf ein erhöhtes Risiko für schwere angeborene Fehlbildungen nach Exposition gegenüber Interferon-beta vor der Empfängnis oder während des ersten Schwangerschaftstrimenons hin. Die Dauer der Exposition während des ersten Trimenons ist jedoch nicht genau bekannt, da die Daten zu einem Zeitpunkt erhoben wurden, als die Anwendung von Interferon-beta während der Schwangerschaft kontraindiziert war und die Behandlung wahrscheinlich unterbrochen wurde, als eine Schwangerschaft festgestellt und / oder bestätigt wurde. Die Erfahrungen mit einer Exposition während des zweiten und dritten Schwangerschaftstrimenons sind sehr begrenzt. Basierend auf Daten aus Tierstudien besteht ein potenziell erhöhtes Risiko für Spontanaborte. Das Risiko von Spontanaborten bei mit Interferon-beta exponierten schwangeren Frauen kann anhand der derzeit vorliegenden Daten nicht ausreichend bewertet werden, aber die Daten weisen bisher nicht auf ein erhöhtes Risiko hin. Falls klinisch erforderlich, kann die Anwendung von Interferon-beta während der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden.
- Begrenzte Informationen zum Übergang von Interferon-beta in die Muttermilch, zusammen mit den chemischen / physiologischen Eigenschaften von Interferon-beta, lassen vermuten, dass die in die Muttermilch ausgeschiedenen Mengen an Interferon-beta vernachlässigbar sind. Es werden keine schädlichen Auswirkungen auf das gestillte Neugeborene/Kind erwartet.
- Interferon-beta kann während der Stillzeit angewendet werden.
Impfungen
Umfassende Untersuchungen zu Impfungen und Interferon-beta liegen nicht vor. Aus den vorhandenen Daten lässt sich aber kein Hinweis darauf finden, dass Interferon-beta einen Impferfolg einschränkt. Ggf. ist der Impferfolg mittels Titerkontrolle zu überprüfen (fakultativ). Alle Impfungen (inklusive SARS-CoV-2) sollten nach den Empfehlungen der STIKO für Menschen unter Immunsuppressiva erfolgen. Ausdrücklich empfohlen wird eine Grippeschutzimpfung für mit Interferon-beta behandelte Patienten. Diese ist ggf. zu wiederholen, falls nach der ersten Impfung kein wirksamer Titer aufgebaut wurde (fakultativ).
Detaillierte Empfehlungen zu Impfungen unter MS-Therapien siehe Spezialsituationen.
Seit 2018 ist ein Totimpfstoff gegen VZV (Shingrix®) zur Verhinderung von Herpes-zoster-Infektionen zugelassen. Die STIKO empfiehlt diese Impfung bei allen Personen > 60 Jahren. Bei Personen mit einer Grundkrankheit oder Immunschwäche (wie z. B. durch eine MS-Immuntherapie) empfiehlt die Kommission die Impfung bereits ab einem Alter von 50 Jahren (Indikationsimpfung). Da Zoster bei der Anwendung von Immuntherapien ein häufigeres Problem darstellen kann, kann individuell überlegt werden, den Impfstoff vor Anwendung einer Immuntherapie einzusetzen (off-label).
Dauer der Therapie
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen keine Erkenntnisse über die notwendige Mindest- oder Maximalbehandlungsdauer vor. Studiendaten über 20 Jahre sprechen dafür, dass sich auch in der Langzeitanwendung das Sicherheitsprofil der Substanz nicht von den Daten der Zulassungsstudien unterscheidet.
Autoren
- Prof. Dr. Hayrettin Tumani
Neurologie, Universitätsklinikum Ulm am RKU
- Prof. Dr. Clemens Warnke
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinik Köln
Weitere Informationen unter „Credits“.
Patientenaufklärung
Das KKNMS stellt einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Interferon-beta für Sie bereit.
Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Interferon-beta (PDF)
Autoren
Prof. Dr. Hayrettin Tumani
Neurologie, Universitätsklinikum Ulm am RKU
Prof. Dr. Clemens Warnke
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinik Köln
Kontrollierte Studien für einzelne Präparate deuten darauf hin, dass Dosis und/oder Applikationsfrequenz zu unterschiedlichen Effekten hinsichtlich Schubrate und Behinderungsprogression verschiedener Interferon-beta-Präparate führen können. In einem weiterhin wachsenden Umfeld therapeutischer Möglichkeiten zur Behandlung der MS erscheinen diese Effekte jedoch von geringerer Bedeutung als die Akzeptanz der gewählten Therapie durch den Patienten.