Indikation
Seit Mai 2022 ist Inebilizumab (Uplizna®, Horizon/Amgen) in Deutschland als Monotherapie zur Behandlung der APQ4-Ak positiven NMOSD bei Erwachsenen ab 18 Jahren in der EU zugelassen (Evidenzgrad I). Inebilizumab ist nicht zugelassen für die Therapie der NMOSD ohne Nachweis von AQP4-Ak. Inebilizumab wurde in der N-MOmentum-Studie an NMOSD-Patienten im Vergleich mit einer Placebobehandlung untersucht und konnte als Monotherapie das Auftreten von Krankheitsschüben signifikant reduzieren. Direkte Vergleichsdaten zur Wirksamkeit gegenüber weiteren, im Qualitätshandbuch NMOSD beschriebenen on-label (Eculizumab, Ravulizumab, Satralizumab) oder off-label (Rituximab, Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Tocilizumab) Therapieoptionen liegen nicht vor.
Die Entscheidung zur Therapie mit Inebilizumab sollte nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung unter Einbeziehung von Krankheitsaktivität, Therapierisiken und möglichen Therapiealternativen individuell getroffen werden (siehe Hauptkapitel: Über NMOSD). Es liegen noch wenige Daten zur Langzeitanwendung von Inebilizumab in der NMOSD vor, die Anzahl der behandelten Patienten in der Studie ist begrenzt und auch andere Indikationsgebiete für Inebilizumab gibt es bislang nicht. Auf der Basis der Zulassungsstudie N-MOmentum kann die folgende Empfehlung zur praktischen Indikation von Inebilizumab gegeben werden.
Prinzipiell geeignet für die Therapie mit Inebilizumab sind:
- vorbehandelte APQ4-Ak positive NMOSD Patienten ab 18 Jahren mit anhaltender Schubaktivität oder
- therapienaive APQ4-Ak positive Patienten ab 18 Jahren ab dem ersten Schub nach Sicherung der Diagnose.
Es wird empfohlen, die Therapieentscheidung in Absprache mit einem Zentrum mit ausgewiesener Erfahrung in der NMOSD-Behandlung zu treffen und die Patienten im NEMOS-Register zu erfassen.
Inebilizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen das Oberflächenantigen CD19 und führt zu einer Depletion der CD19+ B-Zellen von den Pro-B Zellen im Knochenmark über unreife, naive und reife B-Zellen bis hin zu Plasmablasten und Plasmazellen im peripheren Blut. Insbesondere die beiden Letztgenannten werden von den therapeutischen CD20-Antikörpern (Ocrelizumab, Ofatumumab, Rituximab, Ublituximab) nicht erreicht, spielen aber bei der Synthese der für die NMOSD pathogenetisch relevanten AQP4-IgG eine entscheidende Rolle.
Für Inebilizumab wurde im Rahmen der randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Zulassungsstudie (N-MOmentum) und in der offenen Verlängerungsstudie (open label period; OLP) die Wirksamkeit als Monotherapie für die AQP4-IgG seropositive NMOSD gezeigt. N-MOmentum war eine Ereignis-getriebene Studie mit der Zeit bis zu einem NMO/NMOSD-Schub als primärem Endpunkt. 230 Patienten (209 Frauen / 21 Männer) mit AQP4-IgG (93%) oder ohne AQP4-IgG und aktiver Erkrankung wurden in die Studie eingeschlossen. Die Patienten erhielten orale Steroide während der Initiierungsphase (20 mg/Tag für 14 Tage, gefolgt von einer Reduktionsphase bis zum Tag 21) und wurden im Verhältnis 3:1 auf eine Inebilizumab- bzw. Placebo-Monotherapie für 6 Monate randomisiert. Eine begleitende sonstige immunsuppressive Therapie war nicht zugelassen. Der Großteil der Patienten (68%) war bereits vorbehandelt, vorwiegend mit unspezifischen Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Steroide), zu einem deutlich kleineren Anteil mit Rituximab (7%), die übrigen Patienten waren bei Studieneinschluss therapienaiv.
Inebilizumab reduzierte im Vergleich mit Placebo signifikant die Schubrate, insbesondere in der Gruppe der AQP4-IgG positiven Patienten, was zu einem vorzeitigen Abbruch der Studie nach 43 Schüben führte (ursprünglich war geplant, die Studie nach 67 Schüben bei 252 Patienten zu beenden). Darüber hinaus reduzierte Inebilizumab gegenüber Placebo die Rate der Patienten mit einer EDSS-Progression nach 3 Monaten, die Rate der Patienten mit moderaten oder schweren krankheitsassoziierten Schmerzen, sowie den Anstieg des löslichen GFAP im Serum während eines Schubes als Hinweis auf eine geringere Astrozytopathie. Während der offenen Nachbeobachtung (OLP) zeigte sich unter Inebilizumab eine im Verlauf über 4 Jahre immer deutlichere Reduktion der Schubrate, die am Ende bei 97,3% lag. In einer kleinen Subgruppenanalyse profitierten auch solche Patienten (n=7) von einem Therapiewechsel auf Inebilizumab, die unter einer Vorbehandlung mit Rituximab Schübe entwickelt hatten.
Kontraindikationen
Eine absolute Kontraindikation besteht bei …
- Überempfindlichkeit gegen den (die) Wirkstoff(e) oder einen der sonstigen Bestandteile (Histidin, Histidinhydrochlorid-Monohydrat, Natriumchlorid, Trehalose-Dihydrat, Polysorbat 80 [E433], Wasser für Injektionszwecke)
Eine relative Kontraindikation besteht bei …
- schweren aktiven Infektionen, einschließlich aktiver chronischer Infektionen wie Hepatitis B
- aktiver oder unbehandelter latenter Tuberkulose
- progressiver multifokaler Leukoenzephalopathie (PML) in der Anamnese
- Schwangerschaft oder während der Stillzeit
- aktiven Malignomen
Dosierung und Anwendung
Inebilizumab wird in einer festen Dosierung von 300 mg intravenös zum Zeitpunkt Null und 2 Wochen später (Induktionsphase) sowie im Anschluss alle 6 Monate verabreicht.
Inebilizumab wird in Durchstechflaschen geliefert, die 100 mg Inebilizumab in 10 ml in einer Konzentration von 10 mg/ml enthalten. Die endgültige Konzentration nach Verdünnung beträgt 1,0 mg/ml. Zu jedem Infusionszeitpunkt werden somit 3 Durchstechflaschen mit je 100 mg Inebilizumab intravenös verabreicht. Zur Vermeidung von Infusions-bedingten Reaktionen ist eine Vormedikation mit Steroiden und Antiphlogistika vor jeder Infusion notwendig (s.u.).
Die Behandlung sollte unter der Aufsicht eines in der Behandlung von NMOSD erfahrenen Arztes eingeleitet werden, welcher Zugang zu entsprechender medizinischer Versorgung hat, um mögliche schwerwiegende Reaktionen, wie z. B. schwere infusionsbedingte Reaktionen, unter Kontrolle zu bringen. Der Patient sollte während und für mindestens eine Stunde nach Beendigung der Infusion auf Infusionsreaktionen hin überwacht werden.
Erforderliche Prämedikation
Eine Prämedikation mit einem Kortikosteroid (z.B. Methylprednisolon 80 – 125 mg intravenös oder gleichwertig) wird etwa 30 Minuten vor jeder Inebilizumab-Infusion verabreicht, ein Antihistaminikum (z.B. Diphenhydramin 25 – 50 mg oral oder gleichwertig) sowie ein fiebersenkendes Mittel (z.B. Paracetamol 500 – 650 mg oral oder gleichwertig) werden etwa 30-60 Minuten vor jeder Inebilizumab-Infusion verabreicht.
Dosierungsregime und Infusionsgeschwindigkeit von Inebilizumab
Dosierungsregime | |||
Vor der Behandlung | Induktionsphase | Induktionsphase | Erhaltungsphase |
Ausschluss einer akuten oder aktiven chronischen Infektion | Woche 0 | Woche 2 | alle 6 Monate |
300 mg | 300 mg | 300 mg |
Empfohlene Infusionsgeschwindigkeit für die Verabreichung bei Verdünnung in einem 250-ml-Infusionsbeutel | |
Verstrichene Zeit | Infusionsrate |
0 bis 30 Minuten | 42 ml / Stunde |
31 bis 60 Minuten | 125 ml / Stunde |
61 Minuten bis Abschluss der Infusion | 133 ml / Stunde |
Eine Dosisanpassung auf Grundlage der Nieren- oder Leberfunktion ist nicht erforderlich, da monoklonale Immunglobulin(Ig)-G-Antikörper nicht primär über die Nieren oder Leber abgebaut werden. Das potenzielle Risiko für pharmakokinetische Wechselwirkungen zwischen Inebilizumab und anderen Arzneimitteln ist aufgrund der Elimination durch das retikuloendotheliale System gering.
Verspätete oder ausgelassene Dosen
Wurde eine Infusion von Inebilizumab versäumt, sollte sie so schnell wie möglich nachgeholt und nicht bis zur nächsten geplanten Dosis aufgeschoben werden.
Pharmakokinetik
- Inebilizumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikorper, der durch Proteolyse seitens des retikuloendothelialen Systems eliminiert wird.
- Bei erwachsenen Patienten mit NMOSD betrug die terminale Eliminationshalbwertszeit etwa 18 Tage, mit einer geschätzten (CD19)-rezeptorvermittelten systemischen Clearance von 0,19 l/Tag.
- Dabei hatten Alter, Geschlecht und die ethnische Abstammung keinen signifikanten Einfluss. Ebenso war die Inebilizumab-Clearance bei Patienten mit unterschiedlich stark ausgeprägten Nierenfunktionsstörungen unverändert. Die Auswirkungen einer Leberfunktionsstörung auf die Inebilizumab-Clearance ist unbekannt, da in den klinischen Studien keine Patienten mit schweren Leberfunktionsstörungen mit Inebilizumab behandelt wurden. Da monoklonale IgG-Antikörper aber nicht primär über die Leber abgebaut werden, ist nicht zu erwarten, dass Veränderungen der Leberfunktion die Clearance von Inebilizumab beeinflussen. Pharmakokinetische Analysen ergaben keinen Zusammenhang zwischen Veränderungen typischer Biomarker für die Leberfunktion (Aspartat-Aminotransferase (AST), Alkalische Phosphatase (AP) und Bilirubin) und der Inebilizumab-Clearance.
Pharmakodynamik
- Inebilizumab führt zu einer Depletion von CD19+ B-Zellen im Knochenmark sowie von Plasmablasten und Plasmazellen im peripheren Blut, und letztere sind durch die Synthese der AQP4-AK entscheidend an der Immunpathogenese der NMOSD beteiligt.
- Die Pharmakodynamik von Inebilizumab wurde mit einem Assay für CD20+ B-Zellen untersucht, da Inebilizumab mit den Assays für CD19+ B-Zellen interferieren kann.
- Die Behandlung mit Inebilizumab verringert bis 8 Tage nach der Infusion die Anzahl der CD20+ B-Zellen im Blut, bis fast zur kompletten Depletion nach etwa 4 Wochen. Bei dem Großteil der Patienten (über 94%) hält diese Depletion unterhalb des unteren Normwerts auch 28 Wochen nach Behandlungsbeginn an.
- Die Zeit bis zur vollständigen Erholung der B-Zellen nach der Verabreichung von Inebilizumab ist nicht bekannt.
- In der Zulassungsstudie mit NMOSD-Patienten wurden bei 14,7% der Patienten am Ende der OLP anti drug antibodies (ADA) nachgewiesen, die im Verlauf unter der Inebilizumab-Therapie abnahmen und nach bislang vorliegenden Daten klinisch irrelevant waren.
Diagnostik || vor Therapiebeginn
Anamnese und klinische Untersuchung zu möglichen Kontraindikationen
- Eine standardisierte und dokumentierte Aufklärung über die Risiken und den Nutzen der Inebilizumab-Therapie und eine schriftliche Einwilligungserklärung der Patienten sind vor Behandlungsbeginn obligat.
- Ein Patientenpass muss ausgehändigt werden (obligat).
Die standardisierte Aufklärung mit Einwilligungserklärung sollte speziell auf folgende Risiken eingehen (obligat):
- Allergische und infusionsbedingte systemische Reaktionen.
- Abfall der Lymphozytenzahl, der Neutrophilen und der Immunglobulin-Spiegel im peripheren Blut mit potentiell erhöhter Infektanfälligkeit.
- Die Patienten sind darauf hinzuweisen, dass sie sich bei Symptomen einer Infektion unverzüglich an ihren Arzt wenden.
- Vor Beginn der Behandlung mit Inebilizumab (d.h. innerhalb von 6 Monaten) müssen daher ein aktuelles großes Blutbild (einschließlich Differentialblutbild) und Immunglobuline bestimmt werden. Es wird empfohlen, diese Parameter auch während und nach Absetzen der Behandlung bis zur vollständigen Erholung der B-Zellen in regelmäßigen Abständen zu bestimmen (fakultativ).
- Vor jeder Infusion von Inebilizumab ist klinisch und laborchemisch zu bewerten, ob eine signifikante Infektion vorliegt. Im Falle einer Infektion muss die Infusion von Inebilizumab so lange verschoben werden, bis die akute Infektion abgeklungen ist (obligat).
- Ein Behandlungsabbruch ist zu erwägen, wenn ein Patient eine schwere opportunistische Infektion oder wiederkehrende Infektionen entwickelt und reduzierte Ig-Werte auf eine geschwächte Immunabwehr hinweisen (fakultativ).
Labor-Basisprogramm
- Routinelaborparameter: Vor Beginn der Therapie sollten Blutbild und Differenzialblutbild sowie Leberwerte (GOT, GPT, Bilirubin, AP) und Nierenwerte (Kreatinin) bestimmt werden. Des Weiteren sollten quantitative Serumimmunglobuline und B-Zell-Subpopulationen (CD19+ und/oder CD20+ B-Zellen) getestet werden.
- Entzündungs- und Infektionsparameter: Bei allen Patienten sollten eine akute Entzündung (CRP, Urinstatus) sowie chronische bakterielle und virale Infektionen (Tbc, Lues, HBV, HCV, HIV) ausgeschlossen sein (obligat). Für den HIV-Test ist eine schriftliche Einverständniserklärung der Patienten erforderlich. Bei Verdacht auf Tbc in der Vorgeschichte oder bei Personen, die in Gebieten mit höherer Tbc-Prävalenz leben, sollte die Tbc-spezifische Immunreaktion untersucht werden (mittels Tbc-spezifischem ELISPOT oder Interferon-Gamma-Release-Test, z.B. Quantiferon®) (obligat). Bei positivem Testergebnis muss die Gefahr einer Tbc-Reaktivierung abgeklärt werden (Röntgen-Thorax und ggf. weitere Diagnostik) (obligat). Zudem muss überprüft werden ob Immunität gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) vorhanden ist (Nachweis von VZV-IgG im Serum, anamnestisch durchgemachte Windpocken-Erkrankung).
- Schwangerschaftstest: Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter muss zu Beginn und vor jeder Infusion eine Schwangerschaft, ggf. mittels Schwangerschaftstest, ausgeschlossen werden (obligat).
Impfstatus
- Der Impfstatus sollte überprüft werden, und ausstehende und empfohlene Impfungen (gemäß der STIKO) sollten zeitnah unter Berücksichtigung der Krankheitsaktivität erfolgen (obligat). Sämtliche Impfungen mit Lebendimpfstoffen oder abgeschwächten Lebendimpfstoffen sollten mindestens 4 Wochen vor Beginn der Behandlung mit Inebilizumab verabreicht werden. Ausstehende Impfungen sollten allerdings zu keiner Therapieverzögerung führen, insbesondere bei Patienten mit vor kurzem stattgehabten Schubereignissen.
- Die Wirksamkeit und Sicherheit einer Immunisierung mit Lebendimpfstoffen oder abgeschwächten Lebendimpfstoffen im Anschluss an eine Inebilizumab-Therapie wurde bislang nicht untersucht. Eine Impfung mit abgeschwächten Lebendimpfstoffen oder Lebendimpfstoffen wird während der Behandlung und bis zur vollständigen Erholung der B-Zellen nicht empfohlen.
Radiologische Diagnostik
Eine Ausgangs-MRT des Rückenmarks und des Gehirns, möglichst mit Gabe eines nichtlinearen Kontrastmittels zur Untersuchung auf Schrankenstörung, sollte vor Behandlungsbeginn durchgeführt werden (nicht älter als drei Monate) und als Ausgangsbefund für den weiteren Therapieverlauf dienen (fakultativ).
Vortherapien || Abstand und Maßnahmen
Bei der Einleitung von Inebilizumab im Anschluss an andere immunsuppressive Behandlungen mit verlängerten immunologischen Wirkungen oder bei der Einleitung anderer immunsuppressiver Therapien mit verlängerten immunologischen Wirkungen im Anschluss an Inebilizumab müssen die Wirkungsdauer und der Wirkmechanismus dieser Arzneimittel wegen der potenziellen zusätzlichen immunsuppressiven Wirkung berücksichtigt werden.
Grundsätzlich sollte eine längere Therapiepause bei AQP4-Ak-positiver NMOSD aufgrund des Risikos schwerer Erkrankungsschübe aber vermieden werden. Bei Wechsel von Rituximab, Satralizumab, Tocilizumab, Eculizumab oder einer anderen immunsuppressiven Dauertherapie (z.B. Methotrexat, Ciclosporin A, Mitoxantron, Cyclophosphamid) auf eine B-Zell-depletierende Therapie mit Inebilizumab sollten eventuelle Laborveränderungen (z.B. Lympho-/Leukopenien, Leberwerterhöhungen) und Nebenwirkungen abgeklungen sein (fakultativ). Da ein Therapiewechsel in der Regel im Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Schubereignis steht, kann nach Nutzen-Risiko-Abwägung eine direkte Umstellung der Immuntherapie notwendig sein.
Für Patienten, bei denen unter der irrtümlichen Annahme einer MS ein MS-Medikament gegeben wurde und hierdurch eine Verschlechterung der NMOSD oder mitunter schwere Schübe auftraten (z.B. nach Natalizumab, Fingolimod oder Alemtuzumab) und bei denen die Indikation zur Inebilizumab-Therapie gestellt wird, gelten vor Therapiewechsel dieselben Empfehlungen bezüglich der Vortherapien wie für Rituximab (s. Kapitel Rituximab).
Während der Infusion || Durchführung & Monitoring
Inebilizumab wird als intravenöse Infusion verabreicht und kann potenziell kurzfristig zu allergischen Reaktionen führen.
Die Infusionen sollten daher in einem auf die Erkrankung und Therapie spezialisierten Zentrum/Praxis und unter Aufsicht eines Arztes oder von qualifiziertem medizinischen Fachpersonal erfolgen. Der Patient muss hinsichtlich infusionsbedingter Reaktionen überwacht werden. Die Empfehlungen zur Behandlung von Infusionsreaktionen hängen von der Art und dem Schweregrad der Reaktion ab. Bei lebensbedrohlichen Infusionsreaktionen muss die Inebilizumab-Behandlung unverzüglich und dauerhaft abgebrochen und eine entsprechende andere Therapie eingeleitet werden. Bei weniger schweren Infusionsreaktionen kann die Behandlung darin bestehen, die Infusion vorübergehend zu stoppen, die Infusionsrate zu verringern und/oder eine symptomatische Behandlung durchzuführen.
Monitoring & Maßnahmen || unter Therapie
Klinisch-neurologische Kontrolle
Patienten sollen instruiert werden, bei Zeichen einer möglichen Infektion schnellstmöglich einen Arzt aufzusuchen. Nach dem ersten Behandlungsmonat und dann abhängig von Vortherapien und Krankheitsaktivität zunächst vierteljährlich und im Verlauf halbjährlich müssen klinisch-neurologische Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden (obligat).
Labor-Basisprogramm
Blutbild und Differentialblutbild sowie Leberparameter (GOT, GPT, GGT, Bilirubin, AP) und Nierenwerte (Kreatinin) müssen in den ersten drei Behandlungsmonaten in Abhängigkeit möglicher Vortherapien alle vier Wochen, anschließend alle drei Monate für die Dauer eines Jahres und danach entsprechend klinischer Indikation überwacht werden (obligat). Bei Patienten mit ALT oder AST > 5 x ULN ohne einen relevanten Anstieg von Bilirubin ist Inebilizumab zu pausieren bzw. bei wiederholtem Anstieg von ALT oder AST > 5 x ULN komplett abzusetzen. Wenn die Neutrophilenzahl wiederholt unter 1,0 x 109/l oder die Thrombozytenzahl unter 75 x 109/l liegt, muss die Behandlung ausgesetzt werden. CD19+ und / oder CD20+ B-Zellen sollten 3 Monate nach Therapiebeginn und im Verlauf alle 6 bis 12 Monaten kontrolliert werden (fakultativ). Ebenfalls sollten alle 6 bis 12 Monate oder bei zwischenzeitigen Infekten das Gesamt-IgG (obligat) und das -IgM (fakultativ) im Serum bestimmt werden.
Radiologische Kontrolle
Zur Beurteilung des Behandlungserfolgs sowie zur möglichen Einschätzung differentialdiagnostisch relevanter Komplikationen der Therapie sollte einmal jährlich eine MRT des Rückenmarks und des Gehirns durchgeführt werden (fakultativ). Auf die Kontrastmittelgabe sollte verzichtet werden, wenn es keinen klinischen Anhaltspunkt für Krankheitsaktivität gibt, keine klinischen Hinweise auf eine PML oder andere infektiöse ZNS-Erkrankungen vorliegen und eine Ausgangs-MRT vorliegt.
Während der Therapie
Ganz zu Beginn der Inebilizumab-Therapie können noch Schübe auftreten, daher wird eine überlappende Therapie mit oralen Steroiden in den ersten drei Monaten empfohlen (z.B. im ersten Monat Prednisolon 20-30 mg/Tag, zweiter bis dritter Monat 10-20 mg/Tag).
Schübe, die unter Inebilizumab-Therapie auftreten, können nach Standardvorgaben mit einer intravenösen Methylprednisolon-Pulstherapie mit oralem Steroid-Ausschleich-Schema behandelt werden. Bei mittelschweren bis schweren Schüben sollte die Schubtherapie rasch (optimal innerhalb von wenigen Tagen nach dem Schubbeginn) auf Plasmapherese (PE) oder Immunadsorption (IA) eskaliert werden. Dabei muss mit einer beschleunigten Elimination von Inebilizumab gerechnet werden, daher sollte die PE/IA falls möglich vor der geplanten Inebilizumab-Gabe erfolgen. Um eine rasche volle Wirkung von Inebilizumab nach einer Apherese-Therapie zu erreichen, kann ggf. erneut eine Eindosierungsphase mit 300 mg Inebilizumab an den Wochen 0 und 2 und dann wieder alle 6 Monate erfolgen oder die Folgeinfusion vorgezogen werden.
Im Falle von atypischen klinischen Zeichen einer Infektion sollte eine ausführliche Infektionsdiagnostik durchgeführt werden.
Besondere Hinweise
Ältere Patienten
Inebilizumab wurde in klinischen Studien an 6 Patienten ≥ 65 Jahre verabreicht. Auf Basis der begrenzten verfügbaren Daten scheint eine Dosisanpassung bei Patienten über 65 Jahren nicht erforderlich zu sein.
Kinder und Jugendliche
Inebilizumab wurde in den Studien nicht bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt und die Sicherheit und Wirksamkeit ist daher bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 18 Jahren noch nicht erwiesen. Es liegen bislang keine Daten vor.
Patienten mit Malignomen
Immunsuppressive Arzneimittel können das Risiko einer malignen Erkrankung erhöhen. Auf der Grundlage der begrenzten Erfahrungen mit Inebilizumab bei NMOSD scheinen die derzeitigen Daten nicht auf ein erhöhtes Risiko für Malignome hinzudeuten. Ein mögliches Risiko für die Entwicklung solider Tumoren kann jedoch derzeit nicht ausgeschlossen werden.
Patienten mit sonstigen Immunsuppressiva
Inebilizumab wurde als Monotherapie für die Indikation NMOSD getestet und wurde von der EMA auch als solche zugelassen. Es liegen keine Daten über die Sicherheit oder Wirksamkeit von Inebilizumab in Kombination mit anderen Immunsuppressiva vor. Die gleichzeitige Anwendung von Inebilizumab mit Immunsuppressiva, einschließlich systemischer Kortikosteroide, kann das Infektionsrisiko erhöhen.
Schwangerschaft und Stillzeit
- Bisher liegen keine Erfahrungen mit der Anwendung von Inebilizumab bei Schwangeren vor. Aus Vorsichtsgründen soll eine Anwendung von Inebilizumab während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, vermieden werden. Patientinnen sind darauf hinzuweisen, dass sie ihren Arzt informieren müssen, falls sie schwanger sind oder planen während der Anwendung von Inebilizumab schwanger zu werden.
- In der Fachinformation wird empfohlen, Frauen im gebärfähigen Alter sollten während der Behandlung mit Inebilizumab und bis 6 Monate nach der letzten Verabreichung von Inebilizumab eine wirksame Methode zur Empfängnisverhütung anwenden (d.h. eine Methode mit einer Schwangerschaftsrate unter 1 %). Unter Berücksichtigung der Halbwertszeit und Krankheitsaktivität kann nach Expertenmeinung und individueller Risiko-Nutzenabwägung sowie entsprechender Aufklärung frühestens 2 Monate nach Behandlung eine Schwangerschaft geplant werden.
- Eine unerwartete Schwangerschaft unter Inebilizumab ist keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.
- Im Falle einer Exposition während der Schwangerschaft ist aufgrund der pharmakologischen Eigenschaften von Inebilizumab und Daten aus tierexperimentellen Untersuchungen mit einer B Zell-Depletion unklarer Dauer beim Neugeborenen zu rechnen. Neugeborene sollten auf eine B-Zell-Depletion hin überwacht und Impfungen mit Lebendvirus-Impfstoffen so lange verschoben werden, bis sich die B-Zellzahl des Säuglings erholt hat.
- Es ist bislang nicht bekannt, ob Inebilizumab in die Muttermilch übergeht. Humanes Immunglobulin G (IgG) geht bekanntermaßen während der ersten Tage nach der Geburt in die Muttermilch über und sinkt kurz danach auf geringe Konzentrationen ab. Die Gabe von Inebilizumab während der Stillperiode kann erfolgen, idealerweise sollte sie erst 2 Wochen postpartal erfolgen (nach Milcheinschuss/Kolostrum).
Impfungen
Umfassende Untersuchungen zu Impfungen und Therapie mit Inebilizumab liegen nicht vor. Grundsätzlich können Impfungen mit sogenannten Totimpfstoffen, mRNA-Impfstoffen und Vektorimpfstoffen während der Therapie erfolgen. Die Datenlage ist trotzdem unvollständig, und anhand des Wirkmechanismus muss – in Analogie zu Daten zu Impfungen unter Rituximab und Ocrelizumab – von einer reduzierten Wirksamkeit von Impfungen unter Inebilizumab ausgegangen werden.
Lebendimpfstoffe und attenuierte Lebendimpfstoffe dürfen nicht zusammen mit einer Inebilizumab Therapie angewendet werden (obligat). Das Intervall zwischen einer Lebendimpfung und der Einleitung einer Inebilizumab Therapie sollte den aktuellen Impfempfehlungen für immunmodulierende oder immunsuppressive Substanzen entsprechen.
Dauer der Therapie
NMOSD ist eine chronisch verlaufende Erkrankung. Auch nach mehrjährig schubfreiem Intervall kann sich eine Schubaktivität wieder entwickeln, sodass eine lebenslange Immuntherapie grundsätzlich empfohlen wird. Nach aktuell verfügbaren Daten aus der vierjährigen OLP kann eine Inebilizumab Therapie mehrjährig fortgeführt werden. Beim Beenden der B-Zell-depletierenden Therapie muss der Beginn einer alternativen Immuntherapie erwogen werden.
Autoren
- PD Dr. med. Marius Ringelstein
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Orhan Aktas
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Prof. Dr. Tania Kümpfel
Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU-Klinikum, München
Weitere Informationen unter „Credits“.
Patientenaufklärung
Das KKNMS stellt in Kürze auch einen Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Inebilizumab für Sie bereit.
Patientenaufklärungsbogen zur Therapie mit Inebilizumab (PDF)
WORKFLOW-TABELLE
Autoren
PD Dr. med. Marius Ringelstein
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Orhan Aktas
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Tania Kümpfel
Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU-Klinikum, München
Nebenwirkungen in der N-MOmentum Studie umfassten u.a. Harnwegsinfekte, Arthralgien und Infusionsreaktionen und traten in beiden Behandlungsgruppen annähernd gleich häufig auf (bei 73% der Patienten unter Inebilizumab und bei 71% unter Placebo). Schwere Nebenwirkungen wurden in der Placebogruppe etwas häufiger beobachtet, als in der Verumgruppe (10% vs. 4%). Zu Todesfällen kam es während der Zulassungsstudie nicht, 3 Patienten verstarben aber unter Inebilizumab während der OLP. Ein ursprünglich Placebo-behandelter 31-jähriger Patient verstarb an respiratorischer Insuffizienz im Rahmen eines schweren Hirnstammschubes, kurz nach Erhalt der ersten Inebilizumab-Dosis, aber noch vor Abschluss der Therapie-Induktion. Die zweite 67-jährige Patientin verschlechterte sich von ihrem neurologischen Zustand nach drei Inebilizumab-Infusionen und wies im MRT eine große zerebrale Läsion bislang unklarer Ätiologie auf. Eine PML wurde weder in diesem, aber auch in keinem anderen Fall bislang unter Inebilizumab bestätigt. Die dritte 58-jährige Patientin starb nach vierjähriger Inebilizumab-Behandlung an einer COVID-19-Pneumonie im Kontext der Pandemie.
Inebilizumab reduziert die Lymphozytenzahl, und auch Neutrophile können abfallen. Erwartungsgemäß kommt es zudem durch die B-Zell-Depletion zu einem frühen Abfall der Immunglobulinspiegel (IgG und IgM), der aber sowohl in der Zulassungsstudie, als auch in der OLP nach gut 4 Jahren bislang nicht mit einer erhöhten Infektionsrate einherging.